- 23.05.2018
- Kategorie Politik / Gesellschaft
Bernd Henningsen über Jens Høvsgaards Darstellungen profitabler Ost-West-Politik in »Spionerne der kom ind med varmen«
Jens Høvsgaard: Spionerne der kom ind med varmen. Historien om en gasledning på bunden af Østersøen, og om hvordan Putin og tidligere agenter fra KGB og Stasi bestak og afpressede politikere helt op på statsministerniveau i Sverige, Finland, Tyskland og Danmark. Kopenhagen (Gyldendal) 2017, 216 S.
(Die Spione, die mit der Wärme kamen. Die Geschichte einer Gasleitung auf dem Grund der Ostsee und warum Putin und andere Agenten des KGB und der Stasi Politiker bis hinauf auf die Ebene von Regierungschefs in Schweden, Finnland, Deutschland und Dänemark bestachen und erpressten.)
Kleine Diebe werden bestraft, während die großen Diebe gelobt werden.
Russisches Sprichwort
Die wichtigste politische Theorie ist von den Wissenschaften vom Menschen und der Gesellschaft sträflich vernachlässigt, wenn nicht übersehen worden: Die Verschwörungstheorie. Sie durchzieht die Geschichte und alle Versuche, auf symbolischer und metaphorischer Ebene die Existenz des Menschen in Gesellschaft und Geschichte zu verstehen und eine je eigene Interpretation von existentiellem Sinn zu erschaffen – vom biblischen Sündenfall, dem Verrat an Jesus Christus, den Shakespeare’schen Dramen bis zu Pegida und dem Trumpismus kann man sie studieren…
Von „Zufällen“ und Vorteilsannahmen
Nach Lektüre von Jens Høvsgaards Buch über die Vorder- und Hintergründe der Planungen und des Baus der Ostsee-Gasleitungen ist man zu glauben versucht, einen neuerlichen Fall von Verschwörungstheorie vor sich zu haben – wenn nicht der Autor ein prämierter investigativer Journalist, wenn nicht die ausgebreiteten Fakten dokumentiert und überprüfbar, wenn wir nicht Zeitzeugen einer Reihe von „Zufällen“ und wundersamen Veranstaltungen wären. Das Buch, das in einem renommierten Verlag erschienen ist, fügt sich zudem in eine Reihe aktueller investigativer Berichte. Der politische Schocker Michael Isikoffs und David Corns Russian Roulette. The inside story of Putin’s war on America and the election of Donald Trump (2018) wäre zu nennen, spielen doch auch bei den beiden amerikanischen Journalisten die Geheimdienstvergangenheiten handelnder Personen und die Vorteilsannahmen, samt oligarchischer Erpressungen eine wesentliche Rolle.
Die Pipelines deutsch-russischer Freundschaft
Wie es der Zufall will, treffen sich in den späten achtziger Jahren zwei Geheimdienstleute in Dresden – was sie leugnen, was auf Bildern aber dokumentiert ist. Der eine arbeitete für den sowjetischen KGB, der andere war hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Der eine hat 1996 sein Studium in Petersburg mit einer Arbeit abgeschlossen über die Zukunft des Öl- und Gasgeschäftes und die Bedeutung der Energiewirtschaft für die Zukunft der russischen Ökonomie. Er ist heute in vierter Amtszeit Präsident Russlands. Putins Aufstieg verlief vom vergeblich in Moskau nach Unterstützung suchenden KGB-Diensthabenden im bedrohlich aufrührerischen Dresden im Dezember 1989, über machtsichernde Stationen in der Petersburger Stadtverwaltung und zum Nobody in der im Chaos versinkenden Jelzin Administration – bis dieser ihn zu seinem Nachfolger ausruft. Die Jelzin-Kleptokratie sanktioniert er in den ersten Amtstagen und wird selbst zum Oberhaupt einer solchen kleptokratischen Clique – diese Karriere und die der ihn umgebenden Satelliten zeichnet Høvsgaard leidenschaftslos, aber genüsslich in allen Details nach.
Der andere, Matthias Warnig, hat die friedliche Revolution ebenfalls politisch überlebt und wurde auf allerlei Vorstandssitze befördert: Zum Chef von Nord Stream 1, heute ist er Chef von Nord Stream 2 – damit sind die berühmt berüchtigten Gasleitungen auf dem Grund der Ostsee benannt, die für die einen die Energieversorgung Westeuropas sichern sollen und die für die anderen Europa in eine unerträgliche Abhängigkeit von der autoritären Politik Russlands brachten. Für die dritten ist die Pipeline ein Angriff auf die Unterwasserökologie der Ostsee. Høvsgaard nimmt sich auch lohnend viel Zeit für die Biografie dieses Herrn – sie ist gerafft, aber in schöner Deutlichkeit bei Wikipedia nachzulesen. Insofern deckt er nichts Neues auf, setzt aber die Details der Biografien, ihrer Brüche und Milieukontinuitäten wie in einem Puzzle zusammen, das am Ende zu einem Bild von politischer Verkommenheit, von Korruption und Machtanmaßung wird. Der Autor nimmt dabei die Rolle des nüchternen, durchgehend nicht wertenden oder verurteilenden Chronisten ein. Das und seine nicht selten flapsige Sprache sind seine Stärken.
Politexit: Lobbyismus
Die Hartnäckigkeit, ja die Dreistigkeit, mit der das Projekt in den nuller und zehner Jahren vorangetrieben wurde, ist erstaunlich: Der Bau einer Unterwasser-Pipeline ist ca. anderthalbmal teurer als eine Überland-Leitung. Für die umgangenen Länder, insbesondere die Ukraine, aber auch Weißrussland bedeutet sie den Verlust der Transitgebühren, also einen erheblichen Einnahmeverlust. Für die baltischen Länder und Polen ist die Leitung ein politischer Affront ohnegleichen, erhöht sie doch die politische und wirtschaftliche Erpressbarkeit durch Russland. Die Strategie der Durchsetzung des Projektes, von Gazprom/ Nord Stream eingesetzt, baute vor allem auf eines: Die Profitmaximierung für russische Oligarchen und für europäische Politiker. Gerhard Schröder hatte noch als Bundeskanzler die Weichen für den Bau (mit)gestellt; nachdem er sein politisches Amt verloren hatte, ging er durch die „Drehtür“ und wurde Vorstandsvorsitzender der Betreibergesellschaft; sein Einkommen und sein Vermögen wuchsen beträchtlich. Der ehemalige schwedische Ministerpräsident und Außenminister Carl Bildt (er arbeitete nach seiner politischen Karriere u.a. als Hoher Repräsentant der UN für den Balkan) promovierte 1995 zum Berater eines russisch-schwedischen Energieunternehmens mit Sitz in der Schweiz. Im Zentrum dieses Unternehmens stand ein schwedischer Großmogul, seine Firma wurde von der UN beschuldigt, den Boykott Südafrikas (wegen dessen Apartheid-Politik) zu missachten und den Kongo auszuplündern (einer seiner zwei Söhne war Chef des militärischen Geheimdienstes Schwedens). Auch Bildt wurde Vielfach-Millionär (in Kronen).
Zwei weitere Politiker, die nach ihrer politischen Karriere ebenfalls durch die „Drehtür“ gingen und zu hochdotieren Lobbyisten wurden, waren der ehemalige finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen; die Gerüchte über vermeintliche Informantentätigkeit für die Stasi kamen bei der Aufdeckung seiner Lobbyisten-Tätigkeit wieder auf – und blieben ungeklärt, da die finnische Regierung alle Akten sperrte. Der Schwede Göran Persson, während seiner Amtszeit ein kompromissloser Verfechter nachhaltiger Umweltschutzpolitik, wechselte nach Amtsverlust in ein Kommunikationsbüro, das E.ON/ Nord Stream als Großkunde hatte. Nach Zeitungsrecherchen von 2016 soll er in der Zeit ein monatliches Einkommen von einer Million schwedischer Kronen gehabt haben. Høvsgaard zitiert in diesem Zusammenhang den früheren dänischen Ministerpräsidenten Jens Otto Krag von 1967: „Man hat einen Standpunkt, bis man einen neuen einnimmt“, er überschreibt das Kapitel: „Ministerpräsidenten zum Kauf“. Nicht nur sie waren und sind wichtige Beeinflusser für die Durchsetzung von Interessen, die vor allem den Russischen nutzen. Um sie herum führt Høvsgaard eine kaum überschaubare Zahl von prominenten und nichtprominenten Satelliten auf, die sich nützlich gemacht haben – und ihren Profit zogen. Die ausgebreiteten Unappetitlichkeiten reichen von persönlicher Vorteilsannahme, über wirtschaftliche Bevorzugungen bis hin zu politischen Erpressungen.
Der reumütige Nutznießer Dänemark
Der dänische Journalist interessiert sich insbesondere für die Involvierung dänischer Politik und Wirtschaft – und erzählt ausführlich und genüsslich seltsame Verwicklungen, die auch für den nicht-dänischen Leser interessant sind, weil sie etwas Paradigmatisches haben. So war doch Dänemark das erste nordische Land, das ohne Zwang und nachbarschaftliche Abstimmung sein Placet zum Röhren-Bau gab, dieweil alle nordischen Länder bis über den Baubeginn hinaus mehr als zögerlich blieben, wenn nicht gar in Opposition zu dem Projekt. Weder ist das dänische Parlament konsultiert worden, noch wurden gutachterliche Einwände bearbeitet und ausgeräumt; der Widerwille aus der rechtsliberalen Partei des Ministerpräsidenten war nicht unerheblich.
Das Einknicken der dänischen, liberal-konservativen Regierung hatte mit dem unbedingten Wunsch nach Wiederherstellung freundlicher Beziehungen zu Russland zu tun, die nach einer vom dänischen Holocaust-Zentrum in Kopenhagen veranstalteten Tschetschenien-Konferenz auf einen absoluten Tiefpunkt gesackt waren und die dänische Wirtschaft praktisch aus dem Handel mit Russland katapultiert hatte. Die Verquickung der (europäisch-) russischen Energiepolitik mit tschetschenischen Terrorakten und mit dem Krieg in Tschetschenien, wie aber auch mit den nicht nur energiepolitischen Interessen anderer Mächte, gehört zu den Detail-Puzzles in Høvsgaards Offenbarungen. Das EU-Gipfeltreffen während der dänischen Ratspräsidentschaft 2004 mit Russland wurde wegen der Kopenhagener Tschetschenien-Konferenz abgesagt; auch die entscheidende EU-Ratssitzung zur Osterweiterung wurde von der dänischen Hauptstadt nach Brüssel verlegt.
Die Details machen die Verhärtungen, aber auch die abschwellenden Widerstände gegen das Pipeline-Projekt versteh- und nachvollziehbarer. So war bei der Wiederherstellung der russisch-dänischen Beziehungen die dänische Wirtschaft und auch das dänische Königshaus überaus hilfreich: Beispielsweise wurden 2006 die Überreste der Zarin dänischer Abstammung Dagmar/Maria Fjodorowana, Witwe Alexanders III. und Mutter von Nikolaus II. – Überlebende des Massakers der Revolution 1917/18 – mit einem Staatsakt auf dänische Kosten von Roskilde nach St. Petersburg überführt und neben ihrem Mann bestattet. (Die Nummer Zwei des Hauses Romanov lebte in Dänemark im Exil und pflegte die monarchische Nostalgie. Schon 2003 hatten der dänischen Staat und die A.P. Møller Stiftung zum Petersburger 300 Jahresjubiläum zehn Millionen Kronen für die Restaurierung des Innenhofes des Winterpalastes zur Verfügung gestellt.)
Schließlich spielten die aparten Verhältnisse der dänischen Energieindustrie eine maßgebliche Rolle, die für ihre Erfolgsstory die Pipeline unbedingt benötigte und reichlich Sponsorengelder für alle möglichen Kulturprojekte ausschüttete, einschließlich der Zurverfügungstellung von bevorzugten Zigarren- und Champagnermarken für einzelne agierende Personen. Die mitgelieferten Bilder von Empfängen und Partys sprechen eine deutliche Sprache, eine des Überflusses, pomp and circumstances.
Und auch Nord Stream schüttete Geld über dänische und schwedische Entscheider aus: Die Universität auf Gotland erhielt zehn Millionen Kronen zur Erforschung des Lebens der Langhals-Ente, die in den Gewässern um die Insel regelmäßig Quartier bezieht, justament dort, wo die Leitung verlegt werden sollte – Projektleiter wurde ein Professor der Hochschule, dessen Spezialgebiet die Langhals-Ente ist. Er war nachdrücklich gegen die Gasleitung, sein Widerstand löste sich aber nun auf. Wir lernen von Kapitel zu Kapitel, dass diese Wohltaten keineswegs der Kultur wegen ausgeschüttet werden – sondern zum Wohle der Geschäftsinteressen, und es sind nicht immer die Geschäftsinteressen dänischer oder deutscher Unternehmen.
Die Erfolge des politischen Tauwetters kamen der dänischen Wirtschaft dann auch zugute: Die Reederei A. P. Møller-Mærsk konnte ab 2010 sechs Containerschiffe auf die Route von Ecuador nach St. Petersburg schicken, um die russische Bevölkerung mit Bananen zu versorgen, und auch die dänische Agrarindustrie konnte ein neues Kapitel in den Beziehungen mit Russland aufschlagen. Die dänische Beratungsfirma Rambøll, die im Auftrag der Regierung Dänemarks ein günstiges Gutachten zur Pipeline erarbeitet hatte, wurde für Gazprom maßgeblicher Berater beim Bau des neuen Firmenhauptsitzes, eines Wolkenkratzers in St. Petersburg, für die Erschließung des Shtokman-Feldes, für ein russisches Silicon Valley, für den Umbau des Petersburger Flughafens … Im Vorstand der auserkorenen Investitionsbank VTB sitzt ein alter Bekannter, Matthias Warnig.
Am Ende steht der Profit
Mit ein wenig Verspätung strömte ab 2011 Gas durch die neue Pipeline in europäische Richtung, nach Lubmin bei Greifswald, von dort in Anrainerstaaten. Weder hat der Tschetschenien-Krieg die politischen Akteure in Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und der Schweiz davon abgehalten, das Pipelineprojekt einer minutiösen und unabhängigen Überprüfung zu unterziehen, noch hat die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und der Krieg in der Ostukraine 2014 die Akteure davon abgehalten, das Projekt von Nord Stream 2 mit den nämlichen Methoden durchzusetzen. Nicht einmal die Einsprüche aus Brüssel und des europäischen Parlamentes konnten (bislang) etwas ausrichten. Dass die Ukrainer im Winter 2017/18 froren, weil die Gaslieferungen aus Russland unterbrochen waren – und Russland/ Naftogaz im Februar vom zuständigen Schiedsgericht in Stockholm zu einer Kompensationszahlung von 3,8 Milliarden Euro an die Ukraine wegen früherer Vertragsverletzungen verurteilt worden war – scheint die verantwortlichen Akteure in Zentraleuropa nicht bewegt zu haben, die öffentliche Aufmerksamkeit dazu war dürftig. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Europas Energieversorgung ein Thema erster Ordnung ist. Das wird von Høvsgaard auch nicht in Frage gestellt. Sein Thema ist vielmehr ganz schlicht und einfach: Korruption, Vorteilsannahme, Bereicherung.
Bemerkung: Der Erfolg des Werkes spricht für sich. Nach der polnischen Übersetzung ist Anfang 2019 die deutsche Übersetzung im Europa-Verlag erschienen unter dem Titel: Gier, Gas und Geld. Wie Deutschland mit Nord Stream Europas Zukunft riskiert.