- 08.01.2016
- Kategorie Geschichte / Archäologie
Bernd Henningsen über Tom Buk-Swientys dokumentarische Erzählung »Feuer und Blut. Hauptmann Dinesen«
Erzählt wie ein historischer Roman, brillant geschrieben und glänzend übersetzt, weist dieses Buch über einen dänischen Militär und Abenteurer – in Dänemark als ein unter die Haut gehendes Meisterwerk über eine rastlose Seele gefeiert – weit über die Grenzen Dänemarks hinaus. Tom Buk-Swientys Schlachtbank Düppel reüssierte 2008 zum besten dänischen Sachbuch des Jahres; mit ihm setzte in Dänemark zum ersten Mal nach fast 150 Jahren eine tiefgreifende und reinigende Diskussion über die bisher als großes nationales Trauma in der Gedächtniskultur abgesunkene Niederlage im ersten deutschen Einigungskrieg 1864 ein. Hauptmann Dinesen ist, 18-jährig als jüngster Leutnant Dänemarks, Akteur auf diesem Schlachtfeld. Es kommt aber eine Reihe von Mehrwerten hinzu, die ihn jenseits der Neugier auf eine Individualbiographie und der nationalen Singularität tatsächlich zu einem interessanten Gegenstand der historischen Aufarbeitung macht – in politischer, in sozialer und in psychologischer Hinsicht. Wir lernen aus seinem Beispiel wieder einmal und episch ausgebreitet, dass Kriege sich selten politisch, niemals wirtschaftlich und schon gar nicht psychisch lohnen, von den sozialen Kosten ganz zu schweigen.
Nicht zuletzt ergibt sich aus und mit dieser Person ein Spannungselement vor dem Hintergrund seiner literarischen Begabung (er schrieb unter anderem über seine Kriegserfahrungen), seiner Verwurzelung in der dänischen Gesellschaft des Umbruchs im 19. Jahrhundert, aus den europäischen und transatlantischen Dimensionen seiner Biografie und nicht zum Mindesten daraus, dass sein Schicksal und sein Tod die eigene Familie (er hatte fünf Kinder) nicht unerheblich traumatisiert haben. Insofern stellt Buk-Swientys dokumentarische Erzählung Feuer und Blut auch einen Baustein zum Verstehen seiner Tochter und ihres Lebens und Werkes dar – wohl eine der berühmtesten Töchter Dänemarks: Karen Blixen, in Deutschland mit dem Vornamen Tania vermarktet. Sie publizierte aber auch unter dem Pseudonym Isak Dinesen (sic!); ihre ersten großen internationalen Erfolge, Phantastische Erzählungen und Die afrikanische Farm, erschienen unter diesem Nom de Plume, zweimal stand sie in Konkurrenz um den Nobelpreis – mit Ernest Hemingway und mit John Steinbeck. Es ist gewiss keine Überinterpretation, zu behaupten, dass auch ihr Vater durch die ihn so verehrende Tochter unsterblich geworden ist.
Wilhelm Dinesen und seine Familie gehörten zur dänischen Oberschicht, nicht adelig, aber vermögend und königstreu, der Vater (»der Patriarch«) war Großgrundbesitzer in Jütland; am großbürgerlichen Milieu in Kopenhagen nahm man regen Anteil, wie es bei Karen Blixen kongenial beschrieben ist. Wilhelm wurde 1845 geboren, als Dänemark immer noch ein absolutistischer, von der Landwirtschaft abhängiger Staat war. Er erhängte sich nach einem Abenteurerleben 1895, nur 49 Jahre alt, als Dänemark die letzten Zuckungen konservativ-autoritärer Politik erlebte, die Industrialisierung Fahrt aufgenommen hatte und das Land literarisch und kulturell auf dem Weg zu einer europäischen Großmacht war. Sein Vater nahm an beiden Schleswigschen Kriegen und davor als Artilleriehauptmann in der französischen Armee an den frühen Kolonialkriegen in Algerien 1837 teil, er wurde dafür mit der Aufnahme in die Ehrenlegion belohnt. Sein Sohn Wilhelm, der als Freiwilliger auf französischer Seite im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teilgenommen hatte, erfuhr die gleiche Ehre. Buk-Swienty beschreibt Wilhelm Dinesen als Abenteurer, Soldat, Jäger/Trapper, Politiker, Gesellschaftskritiker, Lebemann, Verführer – von Testosteron gesteuert war das »große Leben«, die Vision seiner Existenz, wie die Geschwister Thomas und Karen ihren Vater beschrieben. Georg Brandes diagnostizierte bei ihm gar eine »Unruhe im Blut«.
Er hat an vier Kriegen teilgenommen, dem Deutsch-Dänischen, dem Deutsch- Französischen, dem Französischen Bürgerkrieg, und dem Russisch-Türkischen Krieg 1877–78 auf türkischer Seite. 1887 liefert er mit einer seelischen Offenlegung einen Schlüssel zum Verständnis seiner Generation im Besonderen und von kriegs- und gewaltbedingten Trauma-Erfahrungen im Allgemeinen: »Ich war seelenkrank. Ich hatte am Französisch-Deutschen Krieg teilgenommen in der Hoffnung auf eine Wiederauferstehung von 1864, bin danach Zuschauer im Bürgerkrieg in Paris gewesen und ekelte mich vor beiden Seiten. Ich zweifelte über meine Fähigkeit, überhaupt etwas bewirken zu können; es kamen einige persönliche Widrigkeiten hinzu, ich gab alles auf und reiste nach Amerika.«
Dinesen bricht nach den erlebten Blutorgien in Paris nach Nordamerika auf – und wählt auch in diesem Falle den radikalen, den abenteuerlichsten Weg: Er lebt zwei Jahre in Nebraska und den Wäldern Wisconsins unter Indianern als Pelzjäger. Mit der Rückkehr nach Dänemark wurde er (wieder) Gutsherr – bevor das Türkei-Abenteuer begann; erst in den frühen Achtzigern heiratet er, wird konservativer, aber unabhängiger Lokalpolitiker, in den frühen Neunzigern zieht er in das Kopenhagener Parlament ein.
Buk-Swienty schildert in diesem Band die erste Lebenshälfte einer Randfigur in jeder Hinsicht, bis zu Hauptmann Dinesens Abschied von Europa. Das indianische Abenteuer und die Abenteuer eines politischen Reaktionärs folgen in einem zweiten Band, der im vorigen Jahr in Dänemark erschienen ist. Was die Bücher Buk-Swientys auszeichnet und was erst recht für diesen voluminösen Band gilt, ist seine Erzählfreude, ja seine Erzählmanie. Er breitet die verwickelte moderne dänische Geschichte, eingebettet in die europäischen Zusammenhänge, aus, hat insofern eine fruchtbare vergleichende Perspektive im Visier; nebenbei, gleichwohl ausführlich liefert er eine Sozialgeschichte der Herrenhäuser und Gutsbesitzerdynastien, nicht zuletzt eine Kriegsgeschichte; er breitet die Borniertheit der politischen Klasse aus, über die man mit dem Autor den zutreffenden Schluss ziehen kann, dass sie ziemlich vernagelt war, und die Ignoranz der Militärs im beginnenden Zeitalter der politischen Ideologien durchzieht die Kapitel.
Paradigmatisch mit der Person des Hauptmanns Dinesen stellt Buk-Swienty eine militärische, politische und kulturelle Randfigur in das Zentrum seiner Erzählung und offenbart damit eine Sozialgeschichte der Epoche – und das Psychogramm einer Person, an der man die existentielle Zerstörung durch Krieg studieren kann. Wilhelm Dinesen war gewiss nicht der erste durch ein Kriegstrauma in den Selbstmord Getriebene; er war, wie wir wissen, auch nicht der letzte.
Tom Buk-Swienty: Feuer und Blut. Hauptmann Dinesen. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg und Bernd Kretschmer. Hamburg: Osburg 2014, 503 Seiten, 26,99 Euro.
Diese Rezension erschien in gekürzter Version am 05.08.2014 in ‚Der Tagesspiegel‘. Die Veröffentlichung der ungekürzten Version erfolgt mit freundlicher Genehmigung von ‚Der Tagesspiegel‘.