Vom Ersatzkönig zum Zeremonienmeister?

von Jan Hecker-Stampehl

In Finnland laufen momentan – von der Außenwelt weitgehend unbeachtet – Präsidentschaftswahlen ab. Am 22. Januar fand der erste Durchgang dieser direkten Volkswahl statt, nun müssen sich die beiden Kandidaten, die dabei die meisten Stimmen erhalten haben, in einer Stichwahl am 5. Februar miteinander messen. Ein historischer Einschnitt ist allein darin zu sehen, dass nach drei Jahrzehnten sozialdemokratischer Dominanz das Amt ab März von einem Angehörigen einer anderen Partei bekleidet wird. Wer das Rennen macht, bleibt abzuwarten, doch allein, dass kein klassischer Lagerwahlkampf stattfindet, sondern zwei moderne pro-europäische Großstadtpolitiker miteinander konkurrieren, der konservative Ex-Finanzminister Sauli Niinistö und der grüne Ex-Umweltminister Pekka Haavisto, ist bemerkenswert. Doch was für eine Art Präsident die Finninen und Finnen wählen, hängt nicht nur von den Personen ab. Egal, welcher von beiden es wird, er wird damit konfrontiert sein, ein Amt zu bekleiden, dessen politisches Gewicht sinkt und dessen Platz im politischen System Finnlands unklarer denn je ist.

Ein Blick zurück in die Geschichte: Nach dem Ende der 25 Jahre währenden Kekkonen-Ära wählten die Finnen mit dem Sozialdemokraten Mauno Koivisto (1982–1994) eine Art Anti-Kekkonen. Dass mit Koivistos Amtsantritt eine sozialdemokratische Ära im Amt des Staatsoberhauptes beginnen sollte, die durch seine Nachfolger Martti Ahtisaari (1994–2000) und die jetzt scheidende Tarja Halonen (2000–2012) fortgesetzt würde, war damals nicht zu ahnen. Die finnische SDP war seit den 1970er Jahren immer stärker und kontinuierlicher in Regierungsverantwortung gekommen, allerdings dominierte sie das politische Leben bei weitem nicht so stark wie dies in den nordeuropäischen Nachbarländern über Jahrzehnte der Fall war. Gerade in den 1990er Jahren, als der jetzt als Präsidentschaftskandidat gescheiterte Paavo Lipponen eine sozialdemokratisch geführte Regierung als Ministerpräsident leitete, konnte man den Eindruck gewinnen, nun sei auch in Finnland eine sozialdemokratische Ära angebrochen.

Allerdings hat das Amt in diesen letzten drei Jahrzehnten einen massiven Bedeutungswandel durchlaufen. Als Finnland 1917 unabhängig wurde, wählte man zunächst Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel zum finnischen König, der, hätte er sein Amt wirklich angetreten, den Herrschernamen Yrjö I. getragen hätte. Wegen der deutschen Niederlage war der hessische Prinz nicht als finnischer König zu halten und Finnland wurde Republik mit einem starken Präsidenten an seiner Spitze. In gewisser Weise wurde der finnische Präsident in gleicher Weise zum „Ersatzkönig“ wie es der Weimarer Reichspräsident zumindest zeitweilig war (besonders während Hindenburgs Amtszeit). Der Präsident war Staatsoberhaupt und besaß die Richtlinienkompetenz für die Außenpolitik. Insbesondere in der Ära Kekkonen wurde der Präsident aber zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Politik, so dass man in dieser Phase das finnische politische System am ehesten mit dem Frankreichs vergleichen konnte: Ein Präsident plus ein Ministerpräsident samt zugehöriger Regierung. Die Regierungen wurden unter Kekkonen so gebildet, wie er es für politisch wünschenswert hielt. Erst mit Koivistos Amtsantritt kam es zu einer Stärkung des Parlamentarismus.

Mit der 2000 in Kraft getretenen großen Verfassungsreform wurden die Machtbefugnisse des Präsidenten eingeschränkt, doch zeigte sich nach wie vor, wie unklar die Aufgaben zwischen dem nicht mehr ganz so starken Präsidenten und dem qua politischer Praxis erstarkenden Ministerpräsidenten verteilt werden sollten. Das betraf insbesondere die Frage, wer das Land bei EU-Gipfeltreffen nach außen repräsentieren sollte, ein Streit, der Ende 2009 zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten Vanhanen und Halonen durch eine beiderseitige Vereinbarung beendet wurde. Seither wurde prinzipiell eine „Ein-Teller-Politik“ betrieben, besagter Teller (der die offiziellen Abendessen symbolisierte) verwies darauf, dass jetzt alleinig der Regierungschef Finnland auf EU-Gipfeln vertrete. Dennoch behielt sich Halonen die Teilnahme bei ihren Amtsbereich betreffenden Fragen vor – der Grundsatzstreit wurde also nicht endgültig beigelegt. Verwiesen wurde auf die 2000 in Kraft getretene neue Verfassung, doch zeigte der Konflikt, dass Verfassungsnorm und Verfassungsrealität zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Eine 2011 verabschiedete Neuerung soll in Konfliktfällen nun Regierung und Parlament weiter stärken, so dass erste Kommentare schon – wenn auch aus anderem Anlass – ähnlich wie in Deutschland danach fragen, wozu man das Präsidentenamt überhaupt noch brauche. Hier wird auf das Missverhältnis zwischen der Legitimation durch die direkte Volkswahl und die immer weiter schrumpfenden Kompetenzen des Amtsinhaber abgehoben. Mancherorts wird dafür plädiert, den Präsidenten zu einer rein repräsentativen Figur zu machen. Wird der finnische Staatspräsident also bald dem deutschen Bundespräsident in seinem Machtumfang und seinen Kompetenzen mehr ähneln als etwa dem französischen? Vieles deutet darauf hin, da aber die Ausgestaltung des Amtes vom jeweiligen Amtsinhaber abhängt, wird sich noch zeigen müssen, wie der künftige Präsident mit diesem Amt im Wandel umgeht und ob der finnische Staatspräsident bald nur noch ein „Zeremonienmeister“ und Notar der Nation sein wird.