- 08.07.2014
- Kategorie Literaturwissenschaft
Es ist Deine Pflicht zu benutzen, was du weißt!
Man muss nicht lange suchen, um glänzende Beispiele skandinavischer Arbeiterliteratur in den Bücherregalen der Bibliotheken zu finden: Ivar Lo-Johansson, Martin Andersen Nexø, Ture Nerman und Moa Martinson sind nur einige Namen, die jedem Literaturfreund auch ohne ein spezielles Interesse für Arbeiterliteratur bekannt sein sollten. Sucht man jedoch nach norwegischen Vertretern, wird man nicht so schnell fündig. Gab es etwa in Norwegen keine Arbeiterliteratur? Konsultiert man norwegische oder skandinavische Literaturgeschichten müsste man diese Frage schnell mit einem „nicht wirklich“ beantworten. Doch kann es sein, dass die norwegische Arbeiterbewegung als mit Abstand radikalste und dynamischste in Nordeuropa keine spezifisch proletarische Literatur hervorgebracht hat?
Diesen Fragen wird im nun vorliegenden Buch nachgegangen, in dem systematisch die proletarische Literaturdebatte analysiert wird und ein zeitgenössisches Literaturverständnis rekonstruiert wird, das den Blick weg vom literarischen Werk und dessen Autorinnen und Autoren, hin zu den mit Literatur in Verbindung stehenden Praktiken lenkt. Denn weniger das literarische Werk stand im Fokus des Interesses, sondern was und wie mit Literatur gehandelt wurde. Literatur sollte dabei nicht unterhalten und um ihrer selbst willen geschrieben, gelesen, vorgetragen oder aufgeführt werden. Ihr Hauptzweck war es zu bilden.
Die Arbeit ist im Rahmen des von 2010 bis 2013 durchgeführten und am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Uni Köln und dem Skandinavischen Seminar der Uni Freiburg angesiedelten DFG-Projekts „Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900“ entstanden. Im Projekt wurden akteurorientierte Praktiken wie die Autorenlesung, medienorientierte Praktiken wie Literaturverfilmungen und milieuorientierte Praktiken wie die der Arbeiterbewegung untersucht.
Die Erschließung von teilweise bisher ungesichtetem Material brachte eine norwegische Arbeiterliteratur ans Licht, die erst aus der praxeologischen Perspektive sichtbar wird. Welche Rolle spielte belletristische Literatur im weit reichenden Bildungsbetrieb der norwegischen Arbeiterbewegung? Wie sollte Literatur produziert und rezipiert werden? Wie wurde sie produziert und rezipiert? Und warum findet man in heutigen Literaturgeschichten so wenig zum Thema?
Das Buch stellt eine Bestandsaufnahme der rekonstruierbaren literarischen Praxis der norwegischen Arbeiterbewegung dar und entwickelt dabei mit einem kontrastiven Seitenblick auf Schweden eine Erklärung für die bisherige Absenz der norwegischen Arbeiterliteratur nicht nur in der Forschung.
Christian Berrenberg: »Es ist deine Pflicht zu benutzen, was du weißt!« Literatur und literarische Praktiken in der norwegischen Arbeiterbewegung 1900-1931
Erschienen bei Ergon, 2014 (= Literarische Praktiken in Skandinavien; Band 3), 476 Seiten, ISBN: 978-3-95650-031-2
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt, inkl. Abschlussbericht unter http://www.skanlitprax.de