Parallelwelten – statt Gemeinsamkeiten

von NORDfor

Ein Kommentar von Prof. Dr. Steen Bo Frandsen

zum Editorial 2020 von Joachim Grage »Dänisch-deutsche Geschichtsvergessenheit«

und zum Gastbeitrag von Friis Arne Petersen

»Erinnerung und Politik: Ein Blick auf Geschichte und Kultur im deutsch-dänischen Austausch 2017–2020«

 

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Dänemark hat sich nach einem Jahrhundert der Feindseligkeiten zweifellos wieder in den Zustand überwiegender Harmonie zurückbewegt, in dem sich Deutsch und Dänisch für den überwiegenden Teil der Geschichte befanden. Die beiden Nationalismen, die seit dem 19. Jahrhundert die gute Stimmung zerstört hatten, haben sich als Parenthese erwiesen; es wurde deutlich, dass die behauptete ewige Feindschaft eine Lüge war. Alle Initiativen, die dazu beitragen können, das wechselseitige Verständnis zu stärken und zu vergrößern, sind grundsätzlich begrüßenswert. Dies gilt uneingeschränkt auch für das deutsch-dänische kulturelle Freundschaftsjahr – trotz des unbeholfenen, realsozialistisch anmutenden und missverständlichen Titels.

Trotzdem muss es möglich sein, einige kritische Kommentare anzubringen, die an etwas von dem erinnern können, was auf den offiziellen Idealbildern zu kurz kommt. Gerade weil es sich um eine Top-Down-Regierungsinitiative handelt, bewegt diese sich weiter in den alten Gleisen. Sie verschweigt alle die Probleme und Kratzer in diesem glänzenden Bild, weil scheinbar alle sich davor fürchten, sie auf die Tagesordnung zu setzen. Die Politiker und Kulturmanager lieben Ausstellungen, weil sie von Prominenten mit Reden und Grußworten eröffnet werden können, bei denen die Redenschreiber sich in positiven Äußerungen ergehen und einen Idealzustand heraufbeschwören können, der die oft viel prosaischere Realität gänzlich überdeckt. Diese Rhetorik lassen die Zuhörer noch immer über sich ergehen, wobei uns die pandemiebedingten Einschränkungen dieses Genre weitestgehend erspart haben. 

Natürlich kann man nicht erwarten, dass ein »Freundschaftsjahr« (venskabsår) dazu genutzt wird, um über all das zu sprechen, was besser sein könnte. Man hätte sich jedoch gewünscht, dass die einzigartige Gelegenheit des Jubiläumsjahres 2020 die beiden Nachbarn dazu ermuntert hätte, den Blick auf ihre Nachbarschaft zu richten, auf das Gemeinsame – und auf das, was sich hoffentlich noch entwickeln kann. Das Verhältnis ist gut, ja. Doch liegt dies nicht zuletzt daran, dass es dauernd mit der aus historischer Perspektive kurzen, aber schlechten Zeit verglichen wird. Ist es tatsächlich befriedigend, immer wieder Floskeln zu benutzen, wie »das einzigartige Verhältnis in der Grenzregion«, »die beste Grenze der Welt« oder was noch alles gesagt wird aus Angst, die bösen Geister wieder heraufzubeschwören?

Wie schön und europäisch naheliegend wäre es gewesen, hätte man den 100. Jahrestag der Teilung Schleswigs als Gelegenheit begriffen, endlich zu bekunden, dass die Vergangenheit jetzt hinter uns liegt! Man stelle sich vor, man hätte plausiblerweise die Grenze selbst zum Gegenstand der Gemeinschaft gemacht! Wir wissen ja, weshalb das nicht passierte – was es auch so traurig und frustrierend macht. Die Dänen feiern ihre »einzigartige« Grenze – aber nicht die gute Nachbarschaft. Sie organisieren exklusive nationale Feierlichkeiten: Den Erinnerungsort 1864 wollen sie nicht mit den Deutschen teilen – Versöhnung findet sich kaum im dänischen Wortschatz –, und die Wortwahl »Wiedervereinigung« (genforeningen) zementierte von Beginn an, dass das Jubiläum nicht in Gemeinschaft markiert werden konnte und sollte. Die Dänen wollen lieber ihre alten Lieder singen und sich der Leiden erinnern, die ihnen die Deutschen zugefügt haben. Es geht um eine Grenze, eine Distanz, die ausdrücklich nicht überwunden oder auch nur relativiert werden soll. Und die Grenze ist »unsere«. Wir bestimmen selbst, wann sie geschlossen oder ob ein Zaun errichtet wird. Weder fragen wir den Nachbarn, noch informieren wir ihn. Die Grenze ist nicht, was uns verbindet. Sie soll trennen und den anderen fernhalten. 

Das »Freundschaftsjahr« soll weit nach Deutschland hineinreichen, und das ist gut so. Doch weshalb unterlassen es die Dänen so hartnäckig, in das Nachbarland zu investieren, das ihnen am nächsten ist? Ist es der alte Widerwille gegenüber den bösen Schleswig-Holsteinern? Die Bundesrepublik ist etwas Verwunderliches – eine Föderation –, und Dänemarks unmittelbarer Nachbar heißt Schleswig-Holstein. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg leistete Dänemark dem deutschen Nachbarn bedeutende Hilfe, doch wurde dafür gesorgt, dass diese so weit von der Grenze entfernt wie möglich erfolgte – es wurden Rinder nach Baden-Württemberg geschickt, während die Dänen in Schleswig-Holstein nur ihren angeblichen Landsleuten helfen wollten. Das Außenministerium stellte klar, dass Dänemark NICHT an einem Land Schleswig-Holstein südlich der Grenze interessiert war.

Und seitdem hat sich nicht sonderlich viel geändert. Sicherlich kommt den Minderheiten der größte Teil der Ehre zu, dass die Grenzregion inzwischen ein weniger spannungsreiches Gebiet ist, als sie es einmal war. Doch stehen sie der Sache auch im Weg, weil sie den Mehrheitsbevölkerungen eine Entschuldigung liefern, sich nicht miteinander zu beschäftigen.

Nach jahrhundertelangen fließenden Übergängen, dann mit Schleswig als einem dynamischen Zwischenort und schließlich einem darauffolgenden Jahrhundert mit Hass und Gegensätzen leben Deutsch und Dänisch nun in zunehmend perfekten Parallelwelten. Eigentlich will keiner der beiden wirklich mit dem anderen allzu viel zu tun haben. Und so herrscht eine friedliche Atmosphäre – die Deutschen mieten Ferienhäuser und die Dänen kaufen bei Fleggaard ein – was will man eigentlich mehr? Die Nachbarn versichern einander, wie gut alles geht oder wie einzigartig die Grenze zwischen ihnen ist, aber es findet sich kaum die Andeutung einer Zusammenarbeit, die wirklich einen Unterschied machen könnte. Parallelwelten eben.

Die Nachbarn haben sich voneinander entfernt, sie sind sich gleichgültig geworden. Das wechselseitige sprachliche Desinteresse zeigt dabei seine allzu deutlichen Spuren. Die Dänen sprechen inzwischen zumeist nur Englisch, und die Deutschen tun sich erstaunlich schwer mit einer Nachbarsprache, die ihrer eigenen nicht wenig ähnelt. Aber es geht tiefer. Wie schlimm es steht, zeigt allein die Ausstellung anlässlich des »Freundschaftsjahres« im Kopenhagener Nationalmuseum: Das Museum hat sie von den Briten angekauft, und obwohl die Dänen gerne meinen, dass sie den Briten gleichen, liegt dies überwiegend an ihrer jeweiligen Distanz zu Europa. 

Doch hat Dänemark eine eigene Geschichte mit Deutschland. Das Land liegt nahe, und die Geschichte hatte selten mit Krieg und Gewalt zu tun, allerdings wurde dies verdrängt, und heute wollen die Dänen eigentlich nur noch von der Besatzungszeit hören. Sie können offenbar nicht einmal selbst eine Ausstellung über ihre wichtigste Nachbarschaft produzieren.

Die Kombination aus »Wiedervereinigung« und »Freundschaftsjahr« ist besonders unglücklich. Die nationale Konstruktion der »Wiedervereinigung« – so, wie nicht einmal dänische Politiker 1920 die Eingliederung Nordschleswigs nannten – schloss von Beginn an ein gemeinsames Feiern der Grenze aus, die doch mehr als alles andere die Überwindung der Schwierigkeiten der neueren Vergangenheit hätte symbolisieren können.

Steen Bo Frandsen ist Historiker und Professor am Center for Grænseregions­forskning (Institut for Statskundskab) an der Syddansk Universitet mit Sitz in Sonderburg.

Schlagwörter: ,