Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 1: Prolog

von ScandBlackAtlantic

Die „Rum- und Zuckermeile“ in Flensburg, Kaufmannshäuser in Kopenhagen oder der Straßenname „Kongens gade“ in der Stadt Charlotte Amalie auf der Insel St. Thomas, die zu den heutigen US Virgin Islands gehört, sind sichtbare Spuren des skandinavischen Transatlantikhandels. Spuren, die Fragen aufwerfen: Welche Verbindungen Skandinaviens gab es zum sogenannten Dreieckshandel des 16.–19. Jahrhunderts, und welche gibt es heute?

In einem Seminar im Rahmen des Masterstudiengangs Skandinavistik/Nordeuropastudien am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin sind wir diesen Fragen nachgegangen. Paul Gilroys einflussreiche Studie The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness (1993) hat uns dabei einen theoretischen und methodischen Ausgangspunkt geboten. Das Konzept des „Schwarzen Atlantiks“ beschreibt einen Kulturraum, der im Zuge des kolonialen Sklavenhandels zwischen Europa, Afrika und den Amerikas entstanden ist. Dieses System historischer, kultureller, sprachlicher und politischer Interaktion und Kommunikation mit seinem Usprung in der Versklavung von AfrikanerInnen hat demnach nicht nur Konsequenzen für die entführten Menschen und ihre Nachfahren in Afrika und in den amerikanischen und karibischen Diasporas, sondern auch für die Kulturen der expandierenden europäischen Kolonialmächte. Über den Atlantik transportierte Menschen, Güter und Ideen haben vielfältige Verflechtungen und Vermischungen hervorgebracht.

Vor dem Schauspielhaus in Kopenhagen, gegenüber dem Nordatlantikkai.

Vor dem Schauspielhaus in Kopenhagen, gegenüber dem Nordatlantikkai.
CC-BY Karina Henschel

Allerdings sind diese Verflechtungen nicht immer sichtbar. In den letzten Jahren haben KulturwissenschaftlerInnen den Umstand, dass in skandinavischen Geschichts- und Lehrbüchern nur fragmentarisch die eigene Kolonialgeschichte vermittelt wird, mit dem Begriff einer „kolonialen Amnesie“ beschrieben. Damit ist ein nicht unbedingt intentionales, aber doch systematisches Vergessen gemeint, das darauf beruhe, dass die Verstrickung in Sklaverei und Ausbeutung nicht zum Selbstbild der skandinavischen Länder passe. Dieses Selbstbild – mit dem Fremdbilder weitgehend übereinstimmen – sei gekennzeichnet durch Vorstellungen von Unschuld, Neutralität, Solidarität sowie moralischer und ethischer Überlegenheit.

Zu diesem Bild passt, dass im Kontext des recht neuen Forschungsfelds der Atlantikstudien im Allgemeinen und in Studien des „Schwarzen Atlantiks“ im Besonderen selten von Skandinavien die Rede ist. Umso bemerkenswerter ist es, dass Paul Gilroy selbst in seinem Buch die Frage nach solchen übersehenen Verflechtungen stellt. Als Beispiel nennt er die Schriftstellerin Nella Larsen, eine Vertreterin der als „Harlem Renaissance“ bekannt gewordenen afroamerikanischen Literatur- und Kulturbewegung der 20er Jahre in New York. Gilroy fragt: „What of Nella Larsen’s relationship to Denmark […]?“ (Gilroy 1993, S. 18) Ihr Werk ist kanonisiert in der US-amerikanischen Literaturgeschichte, dabei bleibt aber oft unbeachtet, dass sie dänischer und danokaribischer Abstammung (ihre Mutter war dänische Immigrantin, ihr Vater Nachfahre von Sklaven auf den Dänisch-Westindischen Inseln) und von skandinavischer Literatur des sogenannten „Modernen Durchbruchs“ beeinflusst war, und man daher zu Recht Überlegungen über einen „dänischen Schwarzen Atlantik“ und eine (afro-)amerikanisch-skandinavische Literaturgeschichte anstellen kann und sollte.

Solche Überlegungen führten uns zu einem Verständnis des Dreiecks- und Sklavenhandels sowie des Verhältnisses von Dänemark – das bis 1864 Schleswig und damit auch Flensburg als wichtigen Hafen umfasste – zu seinen ehemaligen „Tropenkolonien“ als Kapitel einer transregionalen Verflechtungsgeschichte. Wann, wie und in welchen Zusammenhängen wird daran erinnert, wird sie vergessen? Wer beschäftigt sich heute damit, und welche Spuren lassen sich in der Gegenwart erkennen?

Nach einigen Wochen der Vorbereitung haben wir uns von unseren Büchern gelöst und unsere Forschung von den Berliner Institutsräumen nach Flensburg und Kopenhagen verlegt. Auf einer Exkursion im Juni besuchten wir als erstes das Schifffahrtsmuseum in Flensburg und erfuhren in einer Führung durch die Stadt mehr von der Geschichte hinter den im Stadtbild sehr präsenten Kaufmannshäusern: Woher hat Flensburg seinen Ruf und seine Identität als Rum-Stadt? Woher stammen die Waren, mit denen Flensburger Kaufleute reich wurden? In Kopenhagen erwartete uns ein volles Programm. Auf einem Stadtrundgang mit Lars Jensen und Björn Lingner von der Universität Roskilde bekamen wir eine Übersicht über die Spuren, die die dänische Kolonialgeschichte und der Dreiecks- und Sklavenhandel in den Häuserzeilen hinterlassen haben – oder eben auch nicht. Im Hinblick auf die Frage, wie man Erinnerungskultur museologisch gestalten und als Reflexion einer geteilten Geschichte mit den ehemaligen Kolonien verstehen kann, besuchten wir das Nationalmuseum in Kopenhagen. Während unserer fünftägigen Exkursion hatten wir auch die Chance, den Autor Kim Langer und die bildenden KünstlerInnen Jeannette Ehlers und Søren Lose kennenzulernen. Sie alle beschäftigen sich in ihren Werken mit der dänischen Kolonialgeschichte und der Beteiligung der skandinavischen Länder am transatlantischen Sklaven- und Dreieckshandel.

Häufig hörten wir, im Vorfeld und von unseren AnsprechpartnerInnen in Flensburg und Kopenhagen – Museumsleuten, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen –, dass die dänische Kolonialgeschichte und vor allen Dingen die Beteiligung am Sklavenhandel nicht oft thematisiert würden und dass Details der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt seien. Unser vielfältiges Exkursionsprogramm bot uns die Möglichkeit, ganz verschiedene Motivationen für die Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte und unterschiedliche Herangehensweisen und Bewertungen kennenzulernen. Vor der Reise wussten wir zwar über die einzelnen Termine Bescheid, waren aber gespannt darauf, welche Verbindungen sich dazwischen ergeben würden und welche Reaktionen uns auf unser Vorhaben und unsere Fragen erwarteten.

Unsere Überlegungen, Erlebnisse und Ergebnisse schildern wir in insgesamt fünf thematisch gegliederten Artikeln auf diesem Blog. Im ersten Beitrag geben wir einen Überblick über die historischen Zusammenhänge. In den darauf folgenden Artikeln widmen wir uns den Spuren der Vergangenheit in den Stadtbildern von Flensburg und Kopenhagen, dem Umgang mit Erinnerungskultur und der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Transatlantik- und Sklavenhandel und dessen Konsequenzen.

Begeben Sie sich mit uns auf die Reise! Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Weiterführende Lektüre:

Von Lars Jensen und Kollegen an der Universität Roskilde (Institut für Kultur und Identität, Fachgruppe Interkulturelle Studien) betreute Seite für postkoloniale Studien mit Fokus auf Dänemark/Nordeuropa; darauf auch das Online-Journal KULT: http://postkolonial.dk/

Nationalmuseum Kopenhagen: http://natmus.dk

Schifffahrts- und Rummuseum Flensburg: http://schiffahrtsmuseum.flensburg.de

Forschungs- und Kunstprojekt The Black Atlantic am Haus der Kulturen der Welt, Berlin: http://www.blackatlantic.com

Paul Gilroy: The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness. London, New York: Verso, 1993

George Hutchinson: In Search of Nella Larsen. A Biography of the Color Line. Cambridge: Harvard University Press, 2006

Nella Larsen: Quicksand, 1928

Sebastian Conrad, Andreas Eckert, Ulrike Freitag (Hg.): Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen. Frankfurt a.M., New York: Campus, 2009

Mai Palmberg: „The Nordic Colonial Mind“, in: Suvi Kuskinen et al. (Hg.): Complying With Colonialism. Gender, Race and Ethnicity in the Nordic Region. Ashgate, 2009, S. 35-50

Gunlög Fur, Pernille Ipsen: „Introduction“. Special issue on Scandinavian Colonialism of: Itinerario: International Journal on the History of European Expansion and Global Interaction 33 (2009), 7-16

Atlantic Studies, Routledge 2004ff.