Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 3: Erinnerungsorte I

von ScandBlackAtlantic

Erinnerungsorte I: Straßen in die Vergangenheit

Geschichte ist sichtbar. Im Stadtbild, in kulturellen Erzeugnissen und in Waren, die wie selbstverständlich zum Alltag gehören, deren Ursprung aber weit von Deutschland und Skandinavien entfernt liegt.

In den Städten mit langer Handelstradition wie Flensburg oder Kopenhagen ist die koloniale Vergangenheit allgegenwärtig. Auf unserer Exkursion haben wir uns nicht nur mit der dänischen Hauptstadt Kopenhagen und ihrer unbestreitbar wichtigen Rolle für die kolonialen Bestrebungen Dänemarks auseinander gesetzt, sondern auch mit der damals ebenfalls zu Dänemark gehörenden Stadt Flensburg. Zwei dänische Städte, die am Dreieckshandel maßgeblich beteiligt waren. Der direkte Vergleich macht uns neugierig: Welche Besonderheiten prägen noch heute die Stadtbilder der beiden Städte?

Der Westindienspeicher in Flensburg. CC-BY Karina Henschel

Der Westindienspeicher in Flensburg.
CC-BY Lill-Ann Körber

In Flensburg galt das Vorhaben, den Atlantik zu überqueren, lange Zeit als zu riskant, und die Genehmigung zum Kolonialwarenhandel musste auch aus Kopenhagen erst erteilt werden. Doch als Flensburg dann in den Dreieckshandel einstieg, verhalf dieser den Flensburger Kaufleuten und Reedern zu großem Reichtum. Dieser Zuwachs an Vermögen hinterließ seine Spuren in der Stadt, die bis heute bestehen; sichtbar, aber kaum gekennzeichnet.

Zwischen den vielen erhaltenen Kaufmannshäusern liegt mitten in der Flensburger Altstadt der Westindienspeicher. Die gesamte Speicherkapazität wurde in der Zeit des transatlantischen Dreieckshandels für die Lagerung von Waren aus den westindischen Kolonien gebraucht, unter anderem den Rohstoff für den Flensburger Rum. Das große Gebäude führt uns vor Augen, welche Dimensionen der Dreieckshandel annahm. Die Informationstafel am Westindienspeicher gibt Auskunft darüber, welche ursprüngliche Funktion das Gebäude hatte. Was ausgespart wird, ist das Thema Sklaverei. Dabei wäre der Handel ohne die systematische Ausbeutung von aus Westafrika stammenden Menschen nicht annähernd so rentabel für die FlensburgerInnen gewesen.

Das aus den Kolonien gelieferte Zuckerrohr wurde in Flensburg weiter zu Zucker raffiniert und zu Rum verarbeitet. Mit zeitweise über 70 Rumbrennereien wurde Flensburg als „Rum-Stadt“ berühmt. Im Gespräch mit Susanne Grigull, der Kuratorin der seit 2012 bestehenden Dauerausstellung „Sklaven, Zucker und Rum“ im Flensburger Schifffahrtsmuseum erörtern wir die Frage, welche Geschichte der Rum vor seinem Verkauf in Flensburg hatte: Wo kamen die Schiffe eigentlich her, die ihre Fracht am Flensburger Hafen löschten? Was meinen wir überhaupt, wenn wir von „Kolonialwaren“ sprechen? Wie waren die Bedingungen auf den karibischen Zuckerrohrplantagen? Auf den Plantagen selbst waren es wohl vor allen Dingen die SklavInnen, die Rum tranken – was dazu beigetragen haben kann, sie abhängig und gefügig zu machen. Die Plantagenbesitzer ließen sich hingegen teuren Wein aus Europa liefern.

„Kolonialwarenladen“ mit historischen Rum-Flaschen im Schifffahrtsmuseum Flensburg. CC-BY Karina Henschel

„Kolonialwarenladen“ mit historischen Rum-Flaschen im Schifffahrtsmuseum Flensburg.
CC-BY Karina Henschel

Die großen Speicher für die Waren aus den ehemaligen Kolonien ist ein gemeinsames Merkmal der Hafenstädte Flensburg und Kopenhagen. Während wir in Kopenhagen am sonnenüberfluteten Westindienkai spazieren gehen, schauen wir auf den ehemaligen Speicher, der heute das luxuriöse Admiral-Hotel beherbergt. Vieles erinnert hier an die Seefahrt: an die romantische, erhabene, wilde und edle Seiten der Seefahrt jedenfalls; die dänische Beteiligung am transatlantischen Sklavenhandel bleibt dabei unerwähnt. Angesichts dieser Pflege des „Kolonialstils“ fragen wir uns nach der Bedeutung des heutigen Umgangs mit der Ambivalenz zwischen der Schönheit des Gebäudes und der unrühmlichen Kolonialgeschichte.

Vom Westindienkai aus können wir auf der gegenüberliegenden Seite des Wassers das Pendant sehen, den Nordatlantikkai. Hier wurden die Waren aus den nordatlantischen Kolonien gelöscht und gelagert. Heute beherbergt der riesige Speicher im Stadtteil Christianshavn ein Kulturzentrum mit dem entsprechenden Namen, Nordatlantens Brygge. Hier finden kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen und Lesungen mit Fokus auf den Färöern, Grönland und Island statt. Außerdem sind im alten Speicher Nordatlantens Brygge die isländischen Botschaft, die grönländischen und färöischen Vertretungen, Unternehmen und Organisationen mit Bezug zum Nordatlantik sowie das berühmte Restaurant NOMA, das viel mit arktischen Produkten arbeitet, ansässig. Verblüffend, wie man hier am Kopenhagener Hafen auf einen Blick die verschiedenen imperialen Bestrebungen Dänemarks überschauen kann!

Der Odd Fellow Palæ um 1930, Flickr, Swedish National Heritage Board. Keine Urheberrechtsbeschränkungen bekannt.

Der Odd Fellow Palæ um 1930
Flickr, Swedish National Heritage Board. Keine Urheberrechtsbeschränkungen bekannt.

Vom Westindienkai führt die Bredgade weiter ins Stadtinnere. Die von aus der Kolonialzeit stammenden Kaufmannshäusern gesäumte Straße im Stadtteil Frederikstaden führt auch am Schimmelmann-Palais vorbei. Heinrich Carl von Schimmelmann war ein deutsch-dänischer Kaufmann, der zeitweilig als der reichste Mann Europas galt. Er besaß Plantagen für Baumwolle und Zucker auf den westindischen Inseln und ließ dort über tausend SklavInnen für sich arbeiten. Wie rentabel das Geschäft für ihn und Kopenhagen war, lässt sich beim Anblick des Schimmelmann-Palais in der Bredgade 28 erahnen. Heute trägt das Palais den Namen Odd Fellow Palæ und ist ein luxuriöser Ort für Feste oder Konferenzen. Die Website verspricht eine einzigartige Geschichte, eine historische Atmosphäre und ungewöhnliche Erlebnisse.

Die historischen Gebäude, an denen wir bei unseren Stadtrundgängen vorbeikommen, bestehen nicht als offizielle Erinnerungsorte an die koloniale Vergangenheit Dänemarks, die die finanzielle Grundlage für ihre Erbauung bot. In den Straßen Flensburgs und Kopenhagens wird nur vereinzelt durch Informationstafeln an die Geschichte der Kaufmannshäuser erinnert, die mit der Geschichte der Sklaverei verflochten ist. Für uns, die wir unser Augenmerk auf genau diese Verflechtungen legen, ergeben sich neue, nur teilweise sichtbare, Stadtpläne. Was ist nun mit Orten, die offiziell des Gedenkens und der Information über historische Zusammenhänge dienen?


Weiterführende Lektüre:

Schifffahrtsmuseum in Flensburg: www.schifffahrtsmuseum.flensburg.de

Die taz zur Eröffnung der Ausstellung „Sklaven, Rum und Zucker“: www.taz.de/!83236

Nordatlantens Brygge: www.nordatlantens.dk

Schimmelmann-Palais:
www.bredgade28.dk und
www.denstoredanske.dk/danmarks_geografi_og_historie/danmarks_geografi/danske_slotte_og_herregårde/odd_fellow_palæt

Sidney W. Mintz: Sweetness and Power: The Place of Sugar in Modern History. New York: Viking–Penguin, 1985. Auf Deutsch: Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers. Frankfurt a.M., New York: Campus Verlag, 2007.