Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 4: Erinnerungsorte II

von ScandBlackAtlantic

Erinnerungsorte II: Dänemark und die Welt im öffentlichen Gedenken

Neben Orten und Gebäuden, bei denen man die historischen Zusammenhänge selbst rekonstruieren muss, gibt es Institutionen und Orte, die gewissermaßen einen öffentlichen Auftrag haben, an die dänische Kolonial- und Sklavenhandelsgeschichte zu erinnern.

Am Grab H.C. Andersens. CC-BY Lill-Ann Körber

Am Grab H.C. Andersens.
CC-BY Lill-Ann Körber

Als erste Station der Exkursion in Kopenhagen besuchen wir den Assistenzfriedhof im Stadtteil Nørrebro. Die zugehörige Website, über die in Texten und Videos Geschichten hinter den Grabmälern zugänglich werden, macht klar, dass der Friedhof als Gedächtnisinstitution verstanden wird. Lars Jensen von der Universität Roskilde führt uns zunächst zum Grab des berühmten Dichters Hans Christian Andersen. Was hat bloß Andersen mit dem Sklavenhandel zu tun? Die Verbindung zu Dänemarks transatlantischen kolonialen Unternehmungen ist nicht sichtbar, wird uns aber von Lars Jensen erklärt, der uns das Gedicht „I Danmark er jeg født“ (In Dänemark bin ich geboren, 1850) vorliest. „et lille land, og dog så vidt om jorden“ – „ein kleines Land, doch so weit um die Welt“ – heißt es hier. In einem Vers werde das Selbstverständnis Dänemarks, das gerade seine Besitzungen in Afrika abgetreten hat, dessen karibische Kolonie nach Abschaffung der Sklaverei zwei Jahre zuvor im Begriff wird unrentabel zu werden und das wenig später südliche Landesteile an Deutschland verlieren wird, als kleines aber dennoch stolzes weltumspannendes Empire zusammengefasst. Was man nicht alles erfährt, wenn man über einen Friedhof geht…

Plakat mit dem Erlass von Scholtens zur Aufhebung der Sklaverei, 1848. Flickr, CC-BY-NC-SA Rigsarkivet – Danish National Archives

Plakat mit dem Erlass von Scholtens zur Aufhebung der Sklaverei, 1848.
Flickr, CC-BY-NC-SA Rigsarkivet – Danish National Archives

Vom einem Gedicht über das „kleine Land“ zur Verwaltung seines „Empires“: Wir gehen weiter zum einzigen Mausoleum auf dem Assistenzfriedhof. Hier liegt Peter von Scholten (1784–1854) begraben, von 1827–1848 Generalgouverneur auf den Dänisch-Westindischen Inseln. 1848 erklärte er auf dem Vorplatz des Forts in Frederiksted auf St. Croix eigenmächtig die Sklaverei für beendet, ohne Abstimmung mit dem dänischen König oder den Plantagenbesitzern. Zurück in Kopenhagen wurde er wegen Amtsversäumnissen angeklagt. Er wurde zwar nach Berufung freigesprochen, aber erst in jüngerer Zeit wird er geradezu zur Heldenfigur stilisiert. Ein Beispiel dafür ist die 1973 von der Dänisch-Westindischen Gesellschaft mit Unterstützung des Vaterlandsfonds gestiftete Plakette und Restaurierung des Grabmals. Auf der Plakette heißt es, er habe „ehrenvoll“ die Sklaverei „in unserer Tropenbesitzung“ zu Ende gebracht. Das Grab sei Denkmal für „Peter von Scholten und sein humanitäres Wirken in Dänisch-Westindien“. Interessant, wie Erinnerungskultur funktioniert, die wohl mehr über über den Zeitpunkt des Erinnerns als über das Erinnerte aussagt: Vom Landesverräter wird Peter von Scholten zum Nationalhelden. Als singuläre Gestalt und Vertreter einer aufgeklärten Position gegenüber der Sklaverei scheint er zum dänischen Selbstverständnis seit den 1970er Jahren zu passen.

Am Grabmal von Peter von Scholten. CC-BY Lill-Ann Körber

Am Grabmal von Peter von Scholten.
CC-BY Lill-Ann Körber

Am Grab von von Scholten bietet sich ein kleiner gedanklicher Ausflug vom Friedhof zum Treffen mit dem Schriftsteller Kim Langer am nächsten Tag der Exkursion an. In Kim Langers Jugendroman Flugten fra Vestindien (Die Flucht von Westindien; 2010) taucht Peter von Scholten nämlich ebenfalls auf. Der Roman von Langer ist ein Beispiel für einen zur Zeit beobachtbaren Trend, dem zufolge von Scholten weniger als Heldenfigur dargestellt wird als als geschickter Politiker, der in einem komplexen Gefüge von kolonialen Machtverhältnissen und Interessen agiert: In dieser Lesart ist die Sklavenbefreiung in Dänisch-Westindien Bestandteil der dänischen Geschichte, aber auch Produkt der Politik der konkurrierenden Kolonialmächte sowie von Befreiungsbewegungen der SklavInnen, angeführt vom historisch belegten Anführer Moses Gottlieb oder General Buddo.

Die Plantage und Erinnerungsstätte Frederiksgave am Rande von Accra, Ghana. CC-BY Lill-Ann Körber

Die Plantage und Erinnerungsstätte Frederiksgave.
Sesemi, Ghana, im Februar 2014.
CC-BY Lill-Ann Körber

1848 wird die Sklaverei abgeschafft, ein Jahr später wird das dänische Nationalmuseum gegründet, noch ein Jahr später schreibt H.C. Andersen sein Gedicht. Ins Nationalmuseum gehen wir am Tag nach der Stadtführung und denken mit Jesper Kurt Nielsen von der Ethnographischen Sammlung über die Selbstrepräsentation Dänemarks im 19. Jahrhundert und über deren Reflexion heute nach. Von nationaler oder nationalromantischer Geschichtsschreibung zu verflechtungsgeschichtlichen Ansätzen? Jesper Kurt Nielsen erklärt, wie sich Dänemark seit Gründung des Museums 1849 über die umfangreichen außereuropäischen Sammlungen als Land mit erheblichem internationalen Einflussbereich dargestellt – das erinnert uns an Andersens etwa gleichzeitig entstandenes Gedicht. In ein paar Jahren werden wir eine neue Präsentation der Sammlungen erleben können, so Jesper Kurt Nielsen, die die Objekte stärker kontextualisiert und so die nationale Perspektive ergänzt. In einem Besprechungsraum der Ethnographischen Sammlung – vollgestopft mit staubigen Büchern und Weltkarten – stellt er uns ein Beispiel für ein Projekt vor, das verschiedene Perspektiven auf historische Verflechtungen und Begegnungen integriert: Er war selbst einige Jahre lang daran beteiligt, in einem Kooperationsprojekt mit Archäologen von der Universität in Accra das Verwaltungsgebäude einer ehemaligen dänischen Plantage im heutigen Ghana wiederaufzubauen und als Museum zugänglich zu machen. Die „Frederiksgave Common Heritage Site“ erscheint uns als erfolgreiches Beispiel für einen respektvollen Umgang mit einem Kapitel geteilter Geschichte.

 CC-BY Wencke Gubisch

Mit Jesper Kurt Nielsen im Nationalmuseum Kopenhagen: Eine Karte der „Goldküste“.
CC-BY Wencke Gubisch

Einen solchen Ansatz, geteilte Geschichte sichtbar zu machen, verfolgt auch das Schifffahrtsmuseum in Flensburg. In der ständigen Ausstellung wird also eine Vielzahl von Quellen präsentiert, die den Flensburger Rum als Produkt von Kolonialgeschichte, Dreieckshandel und Sklaverei sichtbar werden lassen. Briefe von Plantagenbesitzern, deren rassistische Aussagen uns heute den Atem stocken lassen, werden vorgelesen; dänische Tischler schnitzen im 18. Jahrhundert Möbel aus Tropenholz: Stadtgeschichte wird als maritime Verflechtungsgeschichte erlebbar. Insgesamt können wir bei unseren Museumsbesuchen und Treffen beobachten, wie nationale zunehmend durch multiperspektivische Erzählungen abgelöst werden.

Vom öffentlichen Raum und öffentlichen Institutionen begeben wir uns ins Atelier und in die Schreibstube: Bei Treffen mit KünstlerInnen und einem Schriftsteller lernen wir individuelle Kulturschaffende kennen, die sich aus ganz unterschiedlicher Motivation mit dem dänischen „Schwarzen Atlantik“ beschäftigt haben.


Weiterführende Lektüre:

Ghana-Initiative am dänischen Nationalmuseum: www.natmus.dk/historisk-viden/forskning/forskningsprojekter/ghana-initiativet

Peter von Scholtens Grab auf dem Assistenzfriedhof: www.assistens.dk/peter-von-scholten

H.C. Andersen: „I Danmark er jeg født“ auf der Seite des Andersen-Zentrums an der Süddänischen Universität: www.andersen.sdu.dk/rundtom/borge/danmark

Arnold R. Highfield, George F. Tyson (Hg.): Negotiating Enslavement – Perspectives on Slavery in the Danish West Indies. St. Croix: Antilles Press, 2009 (ForscherInnen u.a. aus Ghana und von den Virgin Islands zur dänischen Sklaverei)

Bea Lundt, Wazi Apoh (Hg.): Germany and its West African Colonies: „Excavations“ of German Colonialism in Post-Colonial Times. Münster: LIT Verlag, 2013 (Kooperation von ArchäologInnen an der Universität Ghana Legon mit HistorikerInnen der Universität Flensburg)