Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 5: Kunst und Literatur

von ScandBlackAtlantic

Die Beschäftigung mit Kolonialgeschichte, Sklavenhandel und postkolonialen Verflechtungen ist nicht der Forschung vorbehalten. Bei Treffen mit KünstlerInnen und SchriftstellerInnen auf der Exkursion konnten wir uns ein Bild davon machen, wie Wissen darüber auch in Kunst und Literatur erworben und vermittelt wird – und wie Kunst essenzielle Fragen aufwerfen und verhandeln kann.

Der dänische Autor und Journalist Thorkild Hansen (1927–1989) war einer der ersten, der die skandinavische Rolle im Sklaven- und Dreieckshandel kritisch reflektiert hat. 1971 erhielt er für seine sogenannte Sklaven-Trilogie (Slavernes kyst/Die Sklavenküste, 1967; Slavernes skibe/Sklavenschiffe, 1968; Slavernes øer/Sklaveninseln 1970) den Literaturpreis des Nordischen Ministerrats. Die Serie ist von großer Bedeutung für die weitere Auseinandersetzung mit dem skandinavischen Kolonialismus in Dänemark – alle KünstlerInnen und SchriftstellerInnen, die wir auf der Exkursion trafen, nennen sie als wichtige Quelle und Inspiration.

In den letzten Jahren wurde dieser Faden von dem dänischen Jugendbuchautor Kim Langer (*1963) wieder aufgenommen. Ebenfalls in Form einer Trilogie erzählt Langer von historischen Ereignissen in den dänischen „Tropenkolonien“ in Ceylon (heute Sri Lanka), an der westafrikanischen „Goldküste“ und auf den „Dänisch-Westindischen Inseln“: Kongen af Kandy (Der König von Kandy, 2006), Den Afrikanske Forbandelse (Der afrikanische Fluch, 2009) und Flugten fra Vestindien (Flucht aus Westindien, 2010) sind eine Mischung aus Abenteuerroman, historischem Roman und Phantastik. Auf Forfatterweb, einer Website über dänische Schriftsteller, wird die Serie als „etwas so Klassisches und Wunderbares wie ein historisches Bildungsprojekt“ beschrieben. Wie wir im Gespräch exklusiv erfuhren, überlegt Kim Langer, einen vierten Band über das indische Tranquebar zu schreiben…

Treffen mit Kim Langer in den Räumen der Danske Sprog- og Litteraturselskab. CC-BY Wencke Gubisch

Treffen mit Kim Langer in den Räumen der Danske Sprog- og Litteraturselskab.
CC-BY Wencke Gubisch

Die bildenden KünstlerInnen Søren Lose (*1972) und Jeannette Ehlers (*1973) thematisieren in den letzten Jahren nicht nur die dänische Kolonialgeschichte, sondern auch ihre Spuren in der Gegenwart. Søren Lose, den wir in seinem Atelier auf Amager besuchten, reiste im Auftrag des Øregaard-Museums nördlich von Kopenhagen nach St. Croix, eine der drei ehemaligen Dänisch-Westindischen Inseln. Das Anliegen der Ausstellung På sporet af det skønne – fra København til Vestindien (Auf der Spur des Schönen – von Kopenhagen nach Westindien) im Jahr 2010 war es, die Geschichte des Landguts Øregaard mit dem dänischen Kolonial- und Dreieckshandel in Verbindung zu bringen – es gehörte der Familie Søbøtker, die mit Plantagen auf St. Croix reich wurde. Für die Ausstellung entstand Søren Loses aus Schwarzweiß-Fotografien und einer Videoarbeit bestehendes Projekt Pictures from Paradise. Zu sehen ist eine nachdenklich machende Mischung aus idyllischer Natur, kolonialen Überresten und – im Film – Erzählungen von Einheimischen. Ohne einen weiteren Kommentar lässt der Künstler diese Ambivalenz zwischen Schönheit und Grausamkeit bestehen.

Im Atelier von Søren Lose auf Amager. CC-BY Wencke Gubisch

Im Atelier von Søren Lose auf Amager.
CC-BY Wencke Gubisch

 

Mit Jeannette Ehlers in der Kunsthalle Nikolaj. CC-BY Wencke Gubisch

Mit Jeannette Ehlers in der Kunsthalle Nikolaj.
CC-BY Wencke Gubisch

Jeannette Ehlers, die vorrangig mit Fotografie, Video und Performance arbeitet, widmet sich in ihrer Ausstellung SAY IT LOUD!, die in der Kunsthalle Nikolaj in Kopenhagen gezeigt und mit dem dänischen Kunstkritikerpreis 2015 ausgezeichnet wurde, der Verbindung von Kolonialismus, Dreieckshandel und moderner Sklaverei. Ihre Bilder und Videoinstallationen sind sowohl poetisch komponiert als auch mit einer politischen Botschaft versehen. In dem Video „Three Steps of Story“ (2009) ist Ehlers zu sehen, wie sie zu Walzermusik durch den Ballsaal eines prunkvollen Gebäude tanzt: der Gouverneurspalast in Christiansted auf St. Croix. Der dänische Generalgouverneur Peter von Scholten, dessen Grabmal wir auf dem Assistenzfriedhof besuchten, lenkte von dort aus die Geschicke von „Dänisch Westindien“. Zum Missfallen der europäischen High Society lud er auch freie Schwarze zum Ball, darunter seine Lebensgefährtin Anna Heegaard. Die tanzende Gestalt in Ehlers’ Film ist nur in den Spiegeln an den Wänden des Raumes zu sehen. Hier und in anderen Arbeiten, die oft an Orten von strategischer Bedeutung für den dänischen Kolonialhandel entstehen, visualisiert Ehlers die Nachfahren versklavter Menschen als Schatten der dänischen Geschichte, hält gewissermaßen einer nationalen Geschichtsschreibung den Spiegel vor, in der die über den Atlantik verschleppten Menschen allenfalls als Schemen auftreten: Woran wird sich im Rahmen von Geschichtsschreibung erinnert, was und wer wird vergessen?

Trotz einer Gemeinsamkeit der Themen wird in unseren Gesprächen mit den KünstlerInnen deutlich, dass sich Motivation, Schwerpunkt und künstlerische Ausdrucksmittel unterscheiden. Während Kim Langer in seinen Büchern fesselnde Geschichten für Kinder und Jugendliche erzählen und allgemein über Dänemarks Beteiligung am Kolonialismus aufklären möchte, hat sich Søren Lose den Konsequenzen der Sklaverei im Rahmen einer Auftragsarbeit gewidmet. Jeannette Ehlers wiederum hat durch ihren aus der Karibik stammenden Vater und ihr Aufwachsen als Afro-Dänin einen persönlichen Zugang zu der Verbindung zwischen Dänemark und dem „Schwarzen Atlantik“. Ihre Arbeiten tragen sowohl zur Aufarbeitung der dänischen Kolonialgeschichte wie auch zu einem internationalen Dekolonisierungs- und Antirassismus-Diskurs in Kunst, Wissenschaft und Aktivismus bei.


Weiterführende Lektüre:

Website von Kim Langer: www.kimlanger.dk

Über den Schriftsteller Kim Langer: www.forfatterweb.dk/oversigt/zlanger00

Website von Søren Lose; über sein Projekt „Pictures from Paradise“: www.sorenlose.dk/index.php?option=com_content&view=article&id=66&Itemid=76

Ausstellung „På sporet af det skønne: Fra København til Dansk Vestindien“ 2010 im Øregaard-Museum: http://oregaard.dk/pressearkiv/pa-sporet-af-det-skonne-fra-kobenhavn-til-dansk-vestindien-2

Jeannette Ehlers’ Website, mit vielen ihrer Videoarbeiten: www.jeannetteehlers.dk

Über Jeannette Ehlers’ Ausstellung „SAY IT LOUD“ in der Kunsthalle Nikolaj 2014: www.nikolajkunsthal.dk/en/udstillinger/jeannette-ehlers

„BE.BOP: Black Europe Body Politics“, Kunstfestival und Konferenz in Berlin und Kopenhagen 2012 und 2014, mit Beteiligung von Jeannette Ehlers: www.blackeuropebodypolitics.wordpress.com/be-bop-2012-2014/

Gruppenausstellung „Possession. Art, Power and Black Womanhood“ mit Beteiligung von Jeannette Ehlers in der Galerie Shelter Plan auf dem Carlsberg-Gelände, 2014: www.newshelterplan.com/project/possession

Ausstellung „Afro Modern. Journeys through the Black Atlantic“ in der der Tate Liverpool, 2010: www.tate.org.uk/whats-on/tate-liverpool/exhibition/afro-modern-journeys-through-black-atlantic