Thorsten Nybom 1945 – 2021

von NORDfor

Einen besseren, einen nachhaltigeren Freund, der sich im Wissenschaftsbetrieb und in der schwedischen Politik auskannte, dieses Betriebswissen auch umsetzte und der zugleich eine hohe akademische Kompetenz besaß, konnten wir nicht haben: Wenn es in Skandinavien jemanden gegeben hat, der verstanden hatte, weshalb ein kulturwissenschaftliches Nordeuropa-Institut in der deutschen Hauptstadt auch für den Norden wichtig ist, dann war dies Thorsten Nybom.

Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, wo er herkam – aus Norrbotten, wie kaum einer konnte er für diese ferne Region schwärmen, für die selbstgepflückten Blaubeeren und die selbstgezogenen und -aufgegrabenen Kartoffeln… Wer ihn im akademischen Milieu erlebt hat, konnte sich den Kontrast schwerlich vorstellen: Hier der pragmatische, an Lebenswirklichkeiten gebundene Mensch, da der theoretisch versierte, vielwissende Akademiker, der verbindlich aber in aller intellektuellen Schärfe Urteile fällen konnte – die ausgleichende Brücke war sein tiefgründiger Humor, seine spitze Ironie, und, wenn es ganz schlimm kam, sein Sarkasmus.

Thorsten Nybom studierte Geschichte an der Universität Stockholm, promovierte im Epochen-Projekt „Sverige under andra världskriget“ 1978 mit einer ideologiegeschichtlichen Arbeit über „Motstånd – anpassning – uppslutning. Linjer i svensk debatt om utrikespolitik och internationell politik 1940–1943“. Er war akademisch sozialisiert in der faktenorientierten, grundsoliden schwedischen Wissenschaftstradition und in der zeitgenössischen deutschen Theoriediskussion; er war mit Personen und Wissenschaftsschulen vertraut, kannte sich in „Frankfurt“ genauso aus wie in „Bielefeld“ – „Berkeley“ nicht zu vergessen, wo er als Gastforscher gearbeitet hat und er sein „amerikanisches“ Netzwerk etablierte und seither pflegte. Die beste schwedische Übersicht zum deutschen „Historikerstreit“ ist von ihm geschrieben, seine Präsenz im Weltkriegsprojekt hat ihn dafür prädestiniert. Mit anderen zusammen etablierte er 1993 die jährlichen schwedischen Historikertage, mit denen Wissenschaftler und Lehrer, Museumsleute und die interessierte Öffentlichkeit zusammengebracht wurden, nicht zuletzt sind sie seither auch ein Beitrag zur Internationalisierung der schwedischen Wissenschaft – Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka und Karl Schlögel waren u.a. Gäste.

Sein Fußabdruck in der schwedischen Wissenschaftslandschaft war ein wissenschaftlicher und ein politischer zugleich. In den 1980ern und 1990ern war er Leiter einer kleinen, aber einzigartigen Institution, dem unabhängigen „Rådet för forskning om universitet och högskolor“ – er forschte über Forschung: ihre Institutionen, ihre Organisation und verbreitete die Resultate mit Verve. Die von ihm sowie von Expertinnen und Experten unter dieser Signatur erschienen Publikationen sind Legion, haben in der schwedischen Wissenschafts- und Universitätspolitik deutliche Spuren hinterlassen, der Forschungsrat war die kritische Stimme in Zeiten selten sinniger Bildungsreformen – und schließlich für die Politik so irritierend, dass der Bildungsminister die Einrichtung 1997 einstellte. Unvergesslich ist seine Abrechnung mit der Regierung Göran Persson nach der Reichstagswahl 1998 in Svenska Dagbladet über die verfehlte sozialdemokratische Wissenschaftspolitik, er prangerte den „Antiakademismus“ der Regierung gnadenlos an, immerhin: Der Bildungsminister und sein Staatssekretär, die man auf der neuen Kabinettsliste erwartet hatte, kamen nicht zurück, verloren ihre Ämter… Thorsten Nybom hatte Respekt vor Person, Ämtern und Institutionen, aber Angst hatte er vor ihnen nicht.

In den folgenden Jahren war er Professor für Geschichte, bzw. trug Leitungsverantwortungen in Uppsala, in Linköping, in Karlskrona, schließlich an der jungen Universität Örebro, deren Vizerektor er in seinen letzten Berufsjahren war, er galt dort als das „akademische Gewissen“; auch als Gutachter hat er seine Spuren hinterlassen, u.a. mit der großen Evaluierung der Stiftung Riksbankens Jubileumsfond 2005. Mitglied der Königlichen Ingenieurswissenschaft-Akademie wurde er 2008. Von 2007 bis 2013 hat er mit zwei weiteren Kollegen eine jährliche Bewertung von 37 schwedischen höheren Lehranstalten durchgeführt (die unabhängige Urank, Universitetsranking), mit der nach der Rangordnung dieser Einrichtungen nicht entlang von Effektivitäts-, sondern von Qualitätskriterien gefragt wurde.

Als die schwedische Regierung Mitte der 90er Jahre mit der Stiftung von Gastprofessuren die Idee einer weltweiten Wissenschaftsoffensive entwickelte, war es nicht zuletzt Thorsten Nybom, der sich für die Humboldt-Universität und das Nordeuropa-Institut stark machte – von den Visionen überlebte nur diese eine Professur den Regierungswechsel, später bekam sie den Namen Dag-Hammarskjöld-Professur; 1998 wurde er für zwei Jahre der erste Stelleninhaber, hat am Institutsleben energisch teilgenommen, Vorlesungen und Seminare gehalten; Studierende betreut, Freundschaften gestiftet (nach den ersten drei Jahren der Regierungsfinanzierung übernahm Riksbankens Jubileumsfond die Finanzierung, sie lief 2020 aus). „Humboldt“ hat er gekannt, wie kaum einer, die Stärken und Schwächen der von selbigem gegründeten Lehranstalt durchschaut – und die aktuelle Lage bewertet, beim 200-Jahrjubiläum unserer Universität 2010 war er ein wichtiger Experte. In der Redaktion des NORDEUROPAforums war er ein inspirierender Mitherausgeber.

Thorsten Nybom starb am 6. Februar 2021 in Stockholm – ein Freund, ein Ironiker, ein Kollege wird uns fehlen.

Bernd Henningsen, Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin

Gedenkseite für Thorsten Nybom
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