Zorneszeichen und Endzeiterfahrungen: Die frühneuzeitliche Wahrnehmung von Naturphänomenen

von Matthias Weingard

Venustransit im Juni 2012, Aufnahme des Sonnenbeobachtungs-Satelliten SDO
Flickr, CC-BY NASA/SDO, AIA

Himmelserscheinungen haben schon immer eine gewisse Faszination auf Menschen ausgeübt. Eines der jüngsten Beispiele ist der am 6. Juni erfolgte Venustransit, der, wie im norwegischen Tromsø, bei idealem Wetter ein Massenpublikum anlockte. Mithilfe von Fernrohr oder gar mit bloßem Auge ließ sich beobachten, wie der Planet Venus vor der Sonne vorbeizog. Naturphänomene dieser Art lassen sich heutzutage bequem innerhalb der eigenen vier Wände verfolgen; schließlich erreichen derlei Medienereignisse via Fernsehen, Zeitung oder Internet ohne weiteres ein räumlich und zeitlich disperses Publikum. Der Zusammenhang zwischen Naturphänomen, Medium und Öffentlichkeit hat, mit Einschränkungen, auch für die Frühe Neuzeit seine Geltung: Zwar sind rational naturwissenschaftliche Deutungsmuster Produkte der Aufklärung und den frühneuzeitlichen Prophetien fremd. Neben vermeintlichem Blutregen, Geistererscheinungen usw. wurden Himmelszeichen als Zorneszeichen Gottes, als Zeichen für das nahende Weltende aufgefasst. ((Green, Jonathan:  Printing and Prophecy. Prognostication and Media Change, 1450–1550. Ann Arbor 2012.))  Aus diesem Grund fanden diese Themen auch ihren Niederschlag in den frühneuzeitlichen Massenmedien Flugblatt und Flugschrift im Zeitalter der Gutenberg-Galaxis. ((McLuhan, Marshall: The Gutenberg-Galaxy. The Making of Typographic Man. Toronto 1962.)) Bezeichnenderweise beinhaltet das erste nachgewiesene Flugblatt in schwedischer Sprache von 1573 einen Holzschnitt über einen Kometen. Eine weitere Druckschrift, die Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597, thematisiert einen Blut- und Schwefelregen, der sich in Stralsund ereignet haben soll. ((Holmberg, Claes-Göran: „Nästan bara posttidningar (tiden före 1732).“ In: Gustafsson, Karl Erik/Rydén, Per (Hg.): Den svenska pressens historia I: I begynnelsen (tiden före 1830). Stockholm 2000, 28, datiert die Druckschrift auf das Jahr 1577; vgl. Klemming, Gustaf Edvard/Eneström, Gustav: Sveriges kalendariska literatur. Stockholm 1879, 22.))

Wo wurden derlei Schriften in Schweden gedruckt und publiziert? In beiden Fällen lassen sich Stockholmer Offizine als Druckorte nachweisen. Hierbei handelt es sich um die königliche Druckerei, die einzige auf schwedischsprachigem Territorium verbliebene zu jener Zeit, als Reichsgründer Gustav I. Vasa (1521/23–1560) im Zuge territorialstaatlicher Herrschaftsverdichtung und Reformation eine Monopolisierung der Informationskanäle betrieb und andere Druckereien daraufhin den Betrieb einstellen mussten. Zwar vollzogen Karl IX. (1604–1611) und Gustav II. Adolf (1611–1632) eine Kehrtwende in der Medienpolitik, „liberalisierten“ und dezentralisierten den Buchdruck, was in kurzer Zeit zur Gründung mehrerer Druckereien im Lande führen sollte, Stockholm verblieb aber das publizistische Zentrum im Schwedischen Reich. ((Ridderstad, Per: „Tryckpressens makt och makten över tryckpressen. Om tryckerietableringar i det svenska riket 1600–1650“. In: Nilson, Sten Åke/Ramsay, Magareta (Hg.): 1600-talets ansikte. Nyhamnsläge 1997, 345–356.))

Wer waren die Rezipienten solcher Nachrichten bzw. waren diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich? Damit verbunden ist die Frage, auf welchem Wege die Übermittlung der Informationen vonstatten ging. Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss zunächst der Begriff „Öffentlichkeit“ genauer bestimmt werden: Unter Öffentlichkeit wird heutzutage alles verstanden, was allgemein zugänglich ist, also öffentliche Plätze, Institutionen und Nachrichtenmedien, weshalb an diesen Orten und mittels dieser Informationskanäle entstehende Meinungen, Debatten und Diskurse ebenfalls der Öffentlichkeitssphäre angehören und sich von der staatlichen Gewalt abgrenzen. Paradoxerweise, so könnte man meinen, verdient eben jene staatlich-institutionelle Verfügungsgewalt die Zuschreibung „öffentlich“, da sie Dinge und Vorgänge beschreibt, die mit der Ausübung von Macht über eine größere Gruppe von Menschen in Zusammenhang steht. Um es zu verdeutlichen: Unter diesem Gesichtspunkt sind heutige demokratisch legitimierte, aber auch autokratische Entscheidungsträger wie auch vormoderne Herrscher als „öffentliche“ Personen zu bezeichnen.

Heutige Erscheinungsformen von Öffentlichkeit uneingeschränkt auf vor- oder frühmoderne Zeiten zu projizieren, hieße jedoch, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So waren die Akteure der Macht- und Bildungsöffentlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert einem religiös-erzieherischen Ideal verpflichtet, das mit den Kommunikationsprozessen und -formen zu jener Zeit bei heutigen Betrachtern ein Stirnrunzeln hervorrufen würde. Ähnlich verhält es sich mit der  frühneuzeitlichen Informations-Öffentlichkeit. Zwar sind Informationen – damals wie heute – nicht per se öffentlich, sie müssen erst öffentlich gemacht werden, weshalb sich „der Grad an Öffentlichkeit einer Information […] nach der Zahl der potentiellen Empfänger, nach dem Umfang des ‚Publikums'“ richtet. ((Körber, Esther-Beate: Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618. Berlin 1998, 20.)) Doch im Unterschied zur Gegenwart waren die Kommunikationskreise frühneuzeitlicher Herrschaftsräume aufgrund mangelnder bzw. ungleich verteilter Bildungsvoraussetzungen oder auch unterschiedlicher Ethnien der am Kommunikationsprozess Teilnehmenden völlig anders strukturiert.

Mittlerweile hat sich in der Geschichtswissenschaft zur Frühen Neuzeit die Verwendung des Plurals von Öffentlichkeit etabliert. In ihrer Studie zu den Öffentlichkeiten und zur öffentlichen Kommunikation im frühneuzeitlichen Herzogtum Preußen differenziert Esther Beate Körber die verschiedenen Öffentlichkeitsgrade von Informationen anhand eines Dreischichtenmodells. ((Ebd., 297–304.)) Sie trennt dabei analytisch zwischen „alles Volk“, „Sprachgemeinschaft“ und „Lesewelt“. Den höchsten Öffentlichkeitsgrad erlangten demnach Informationen, die nicht sprachlich verschlüsselt waren, zu deren Verständnis einfache Erklärungen, Zeichen oder Bilder genügten und zu denen, in Anlehnung an Martin Luther, „alles Volk“ Zugang hatte. Anders als es m.E. in den meisten modernen Nationalstaaten der Fall ist, waren Sprachgemeinschaft und Bevölkerung der frühneuzeitlichen, „zusammengewürfelten“ Staaten ((Die Forschung verwendet hierfür die Begriffe „zusammengesetzter“ oder „Konglomeratstaat“. Vgl. Gustavsson, Harald: „The Conglomerate State. A Perspective on State Formation in Early Modern Europe.“ In: Scandinavian Journal of History 23 (1998), 189–213.)) nicht deckungsgleich. So existierten im eigentlichen Schweden („egentliga Sverige“) neben den schwedisch- und finnischsprachigen Bevölkerungsteilen die im nördlichen Raum siedelnden indigenen Stämme der Samen; darüber hinaus zählten zum Schwedischen Reich die seit 1561 eroberten Territorien und mit ihnen die deutsch-, dänisch-, norwegisch-, russisch-, karelisch-, estnisch- und lettischsprachigen Einwohner. ((Finnland (häufig als  „Österland“ bezeichnet) war seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis 1809 integraler Bestandteil des Königreichs Schweden. Diesem mehr oder weniger fest angegliedert waren die historischen Landschaften der Ostseeprovinzen Estland (1561–1710), Kexholms län (1617–1710), Ingermanland (1617–1710), Livland (1629–1710) und Ösel (1645–1710) sowie die norddeutschen Territorien Schwedisch-Pommern (1648–1815), Bremen-Verden (1648–1719) und die Hansestadt Wismar (1648–1803). Die dänischen Landschaften Halland, Skåne und Blekinge, die Insel Gotland und das norwegische Bohuslän gehören seit 1645 bzw. 1658 zu Schweden.)) Der frühneuzeitliche Herrschaftsraum der schwedischen Krone war also von einer Sprachenvielfalt geprägt. Eine „Sprachgemeinschaft“, innerhalb derer mündliche und schriftliche Informationen in schwedischer Sprache und durch aktive Teilnahme auch von nicht Lesekundigen verbreitet werden konnte, existierte allenfalls in den traditionellen schwedischen Landschaften Götaland, Svealand und in den dünner besiedelten Gebieten Norrlands und Österlands. Diese Sprachgemeinschaft zeichnete sich durch öffentliche, i.d.R. mündliche Informationsvorgänge aus, wie sie sich auf allgemein zugänglichen Plätzen und öffentlichen Räumen, so auf dem Markt, in der Kirche, im Wirtshaus oder vor dem Rathaus oder der Amtsstube einer Gemeinde, ereigneten. Den geringsten Öffentlichkeitsgrad besaßen hingegen Informationen, die an die „Lesewelt“ adressiert waren. Damit bezeichnet Körber ein Publikum aus Lesekundigen, vor allem aus regelmäßigen Lesern, die sich von Empfängern nichtsprachlicher und mündlicher Informationen durch Lektüre im „privaten“ Umfeld abgrenzten und deren Teilnahme an „öffentlicher“ Kommunikation räumlich weiter reichte als das unmittelbare soziale Umfeld. Die Herausbildung einer solchen „Lesewelt“ war an zwei Bedingungen geknüpft: Zum einen setzt sie den Buchdruck voraus, auf dessen Grundlage sich Strukturen entwickelten, die regelmäßiges Lesen erst ermöglichten. Zum anderen brauchte es eine allgemeine Lesefähigkeit, die angesichts der Schul- und Bildungsverhältnisse in der Frühen Neuzeit allerdings mehr als fraglich erscheint und dieses Publikum auf die kleinste, am wenigsten öffentliche Schicht der Informations-Öffentlichkeit beschränkt.

Zwar war die Lesefähigkeit innerhalb der schwedischen Bevölkerung im europäischen Vergleich ausgesprochen verbreitet – sie soll bei Männern und Frauen um 1700 bei etwa 90 Prozent gelegen haben. ((Parker, Geoffrey: „An Educational Revolution? The Growth of Literacy and Schooling in Early Modern Europe.“ In: Tijdschrift voor geschiedenis 93 (1980), 210–220, hier 218–219.)) Sie war das Resultat einer im Kirchengesetz von 1686 verankerten und von staatlicher Seite betriebenen, alle sozialen Schichten erfassenden Bildungskampagne, die darauf abzielte und den gemeinen Mann in die Pflicht nahm, Katechismus, Bibel und Psalmbuch im eigenen Haushalt zu rezipieren. ((Johannson, Egil: „The History of Literacy in Sweden.“ In: Graff, Harvey J. (Hg.): Literacy and Social Development in the West: A reader. Cambridge [u.a.] 1981 (Cambridge Studies and Literate Culture 3), 151–182; vgl. ders.: „Läskunnighet och folkundervisning i Sverige. Ett forskningsfält och dess möjligheter.“ In: Historisk tidskrift 93 (1973), 92–107.)) Diese „Bildungsoffensive“ vermittelte jedoch ein eher rudimentäres Leseverständnis. Komplexere politische und ökonomische Sachverhalte, wie sie etwa aus Zeitungen oder Messrelationen zu entnehmen waren, ließen sich unter diesen Gegebenheiten wohl nicht erschließen. Dies setzte einen höheren Bildungsgrad eines zahlungskräftigeren Publikums voraus, das sich auf einen Kreis aus adligen oder bürgerlichen Bediensteten und kirchlichen Würdenträgern auf zentralstaatlicher wie auch lokaler Ebene, ebenso Kaufleute und Gelehrte beschränkte.

In Schweden wurde die Kunst des Buchdrucks spätestens 1483 eingeführt, als die aus Magdeburg bzw. Hannover stammenden Typographen Bartholomeus Gothan († um 1494) und Johann Snell (* vor 1476; † nach 1519) in Stockholm erstmals kirchendienstliche Drucke publizierten. ((Klemming, Gustaf Edvard/Nordin, Johan Gabriel: Svensk boktryckeri historia 1483–1883. Stockholm 1883, 143–147, mit biographischen Ungenauigkeiten. Snell war weder „Holländer“ noch starb er „kurz nach 1483“; vgl. Klass, Eberhard: Die Anfänge des schwedischen Post- und Zeitungswesens bis zum Tode Karls XII. Diss. Berlin 1940, 40.)) In der Folge entwickelte sich eine rege Drucktätigkeit. Ob der frühneuzeitliche Buchdruck als „Massenmedium“ bezeichnet werden kann oder gar den Sehsinn stimulierte und diesen gegenüber den anderen Sinnen aufwertete, wie es in einigen Abhandlungen zur Kulturgeschichte postuliert wird, bleibt fraglich. ((Eisenstein, Elizabeth: The Printing Revolution in Early Modern Europe. Cambridge ²2005; dies.:  The Printing Press as an Agent of Change. Communications and Cultural Transformations in Early-Modern Europe. 2 Bde, Cambridge 2009; Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt a.M. 1998.)) Denn Lesen bedeutete bis ins 18. Jahrhundert vor allem lautes Vorsprechen, Hör- und Sehsinn wurden bei dieser Tätigkeit gleichermaßen beansprucht. Auch ist nicht der Buchdruck, vielmehr die Kirchenkanzel als das eigentliche „Massenmedium“ dieser Epoche zu bezeichnen, was den Distributionsgrad von Informationen an ein Publikum via mündlicher Verlautbarung anbelangt. Es waren nicht nur religiöse Botschaften, die die Pastoren ihren Gemeinden während des sonn- und feiertäglichen Kirchgangs von der Kanzel abkündigten; die Predigten enthielten darüberhinaus obrigkeitliche Verordnungen und Mitteilungen über gegenwärtige Kriegs- und Friedensläufte wie auch das Herrscherhaus betreffend. ((Vgl. Widén, Bill: „Predikstolen som massmedium.“ In: Karolinska förbundets årsbok 93 (1993), 121–129.))

Nach diesem Exkurs kehre ich zurück zur Frage nach den Rezipienten dieser Flugbätter und wie die darin enthaltenen Informationen übermittelt wurden. Informationen konnten sowohl bildlich als auch schriftlich weitergegeben werden. Informationen aus Bildflugblättern ohne Text oder allenfalls mit schriftlichen Erläuterungen waren ohne besondere Bildungsvoraussetzungen erschließbar und erreichten ein Publikum, das über die Grenzen einer Sprachgemeinschaft hinausreichte. Auch als „illustriertes Flugblatt“, ein Flugblatt mit ausführlichem Text, diente das Bild den Analphabeten als vorrangige Informationsquelle. Hier verband der Text das illustrierte Flugblatt mit stärker schriftlich orientierten Informationsformen. Je stärker der Textteil aber die Aussage eines illustrierten Flugblattes dominierte, desto weniger richtete sich das Flugblatt an „alles Volk“, sondern an eine Sprachgemeinschaft oder „Lesewelt“. Unter diesem Gesichtspunkt besaßen textorientierte Flugblätter einen geringeren Öffentlichkeitsgrad als Bildflugblätter. Dennoch konnten die Rezipienten den Text aus illustrierten Flugblättern interessierten Zuhörern vorlesen, die schriftlich fixierten Informationen als Vorlage für die mündliche Weitergabe verwendet werden. Damit gestaltet sich eine klare Trennung zwischen  mündlicher und schriftlicher Weitergabe aber als äußerst schwierig. Denn mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Entfernung konnten Nachrichteninhalte mitunter so stark variieren, dass sie alsbald als Gerücht nicht mehr ihrem Ursprung zuzuordnen waren – eine effektive Methode des gemeinen Mannes, sich sozialer Kontrolle zu entziehen. ((Scribner, Robert W.: Popular Culture and Popular Movements in Reformation Germany. London 1987, 178.)) Dies führte bisweilen soweit, dass diese Gerüchte an anderen Orten zu anderen Zeiten nach dem Hörensagen womöglich erneut aufgeschrieben oder gar gedruckt wurden. ((Körber, 317.))

Die Komposition der oben genannten und hier abgebildeten schwedischen Flugblätter gibt Auskunft über den Grad der Informations-Öffentlichkeit. In ihren Titeln werden explizit Übermittlungswege und Adressaten der Nachrichten genannt: ”Om then nyia stierno och cometa, som syntes Anno Domini 1572 i Novembris månat / scriffuit aff Georgio Busch Norinbergense på tydsko, boendes i Erfurt, och nu uthsatt på swensko” – ”Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender… Allom Christrognom vthi Swerige til warning och rättelse / aff Tydskone afffatt.” ((Von dem Cometen welcher in diesem Jahre 1572 im Monat Novembris erschienen / von Georgio Busch Norenbergense, wohnhaft in Erfurt, in deutscher Sprache verfasst und nun ins Schwedische übertragen“ – „Wahrhaftige schreckliche Neue Zeitungen…Allen christgläubigen aus Schweden zur Warnung und Besserung / aus dem Deutschen abgefasst.“)) In beiden Fällen handelt es sich um Übersetzungen aus dem Deutschen. Die Flugblätter gelangten im Original nach Stockholm, wo sie ins Schwedische übersetzt und, nach erfolgter Imprimatur, von den königlichen Buchdruckern Amund Laurentzson 1573 bzw. von Andreas Gutterwitz im Jahr 1597 publiziert wurden. ((Vgl. Klemming/Nordin, 151–157.)) Sie waren an „christgläubige Leser“ bzw. an „alle christgläubigen Schweden“, wie es in dem illustrierten Flugblatt von 1597 heißt, gerichtet, ein nach damaligem reichskirchlichem Verständnis ausnahmslos orthodox protestantisches Publikum. Beide Flugblätter sind in erster Linie an ein Lesepublikum adressiert. In beiden Fällen handelt es sich um textorientierte Flugblätter. Bilder, wie sie allenfalls im Flugblatt von 1597 vorkommen, treten gegenüber der textlichen Gestaltung in den Hintergrund und spielen als Informationsträger eine marginale Rolle. Da die segmentären Botensysteme des 16. Jahrhunderts noch keine regelmäßige Übermittlung handschriftlicher und gedruckter Nachrichten zu leisten im Stande waren – ein staatlich organisiertes Postsystem in Schweden war erst seit 1636 im Aufbau begriffen –, zudem die Verbreitung von Flugblättern durch Buchhändler und Reisende okkasionell und punktuell erfolgte, ist davon auszugehen, dass der Informationsgehalt dieser Druckmedien größtenteils mündlich weiter verbreitet, der Öffentlichkeitsgrad dieser Medien von der Lesewelt auf die schwedische Sprachgemeinschaft erweitert wurde.

Wie aber ist zu erklären, dass bestimmte Nachrichtenmeldungen verbreitet wurden, andere aber nicht? Wie heutige Journalisten mussten auch die Nachrichtenspezialisten des 16. und 17. Jahrhunderts, also Buchdrucker, Buchhändler und Postmeister, eine Auswahl an Meldungen vornehmen. ((Auf das Medium Zeitung bezogen vgl. Adrians, Frauke: Journalismus im 30jährigen Krieg. Kommentierung und „Parteylichkeit“ in Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Konstanz 1999 (Journalismus und Geschichte 2.)) Allerdings herrschte damals kein Überfluss, eher ein Mangel an Informationen, worauf der begrenzte Umfang an Nachrichten in den Flugblättern schließen lässt. Die Nachrichtenspezialisten mussten sich daher in weitaus stärkerem Maße am Erwartungshorizont des Publikums orientieren als dies heute der Fall ist. Dies lässt sich am Nachrichtendruck selbst ablesen, wodurch er für die Leser interessant wurde. Die Auswahl- bzw. Bewertungskriterien der Nachrichten kommen für gewöhnlich schon im Flugblatttitel vor, etwa in den Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597 – „Wahrheit“, „Schrecken“ und „Neuheit“. Es sind spezifisch werbende Eigenschaften einer Nachricht, die in der modernen Kommunikationswissenschaft als Nachrichtenfaktoren bezeichnet werden. Durch diese Nachrichtenfaktoren erhält die Meldung einen Nachrichtenwert, der die Wahrscheinlichkeit ihrer Verbreitung vergrößert.

Allerdings ist auch hier erneut davor zu warnen, moderne Vorstellungen über Nachrichtenfaktoren auf frühere Epochen zu übertragen. Um mit dem Bewertungskriterium „Neuheit“ zu beginnen, bleibt festzuhalten, dass der Anspruch auf Aktualität einer Nachricht nur mit Einschränkung für das 16. und auch noch für 17. Jahrhundert gültig ist. Die „Neuheit“ der Nachrichten ist zu relativieren, da zwischen dem berichteten Ereignis und seiner Veröffentlichung ein längerer Zeitraum liegen konnte. So wurde das Flugblatt, das in deutscher Sprache über einen Kometen im November 1572 berichtet, erst im folgenden Jahr ins Schwedische übersetzt und gedruckt. Zeitlich noch weiter zurück liegt ein Bericht über das Stockhomer Blutbad von 1520. Gustav Vasa ließ den Bericht mit dem Titel „Von der graüsamen Tyranieschen Myssehandelung, so Künig Christiern, des namens der ander von Dennmarck, jm Reich zu Sweden begangen hat“ erst vier Jahre später im Druck veröffentlichen. ((Der in vier Auflagen erschienene Bericht über das Stockholmer Blutbad wurde aber weder in schwedischer Sprach noch in Schweden gedruckt, s. Sylwan, Otto: Svenska pressens historia till statshvälfningen 1772. Lund 1896, 21.)) Und bei dem Flugblatt von 1597 handelt es sich offenbar um einen Nachdruck von 1577. ((Vgl. Holmberg, 28.)) Daraus ließe sich thesenartig formulieren, dass der Nachdruck offenbar ein lohnenswertes Zusatzgeschäft für die Buchdrucker darstellte, mögliche Leser der Flugblätter offenbar keine hohen Ansprüche an die Schnelligkeit der Information stellten, die Nachricht an sich für den Leser offenbar wichtiger war als die Aktualität der Meldung. Dass solche Information eher als Wiedererinnerung an ein jüngst vergangenes Geschehen zu interpretieren sind, die Mitteilungen also über längere Zeit oder auch zeitlos gültig sein konnten, wird mit der Überlieferungssituation bzw. der Aufbewahrungsfrage der Druckschriften in Verbindung gebracht. ((Körber, 319.)) So wurden Flugschriften mit voraussichtlich zeitloser Gültigkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit aufbewahrt und gesammelt, z.B. als Wandschmuck verwendet, weil „zeitlose“ Nachrichten interessanter oder wichtiger erschienen als beispielsweise Sensations-Flugblätter. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die mystische Publizistik in Schweden im 17. Jahrhundert gegenüber politischen Flugblättern nicht so richtig in Erscheinung trat. ((Klemming/Eneström, 22.))

„Wahrheit“ als Nachrichtenfaktor erscheint aus der heutigen Perspektive als selbstverständlich. Dagegen war es in der Frühen Neuzeit wohl keine Selbstverständlichkeit, „wahre“ Nachrichten zu erhalten, da diese Tatsache explizit im Titel der Flugblätter hervorgehoben wurde. „Wahrheit“ hieß zudem nicht in erster Linie ein mittels Zeugenschaft verbürgter Seinszustand, sondern war vor allem an kirchliche oder weltliche Obrigkeiten, deren Werte und Traditionen gebunden. In Zeiten unsicherer Kommunikationswege und Informationsübermittlung galt „Wahrheit“ bzw. Authentizität als ein hohes Gut in der Informations-Öffentlichkeit, und dies schon lange vor Einführung des Buchdrucks, etwa in handgeschriebenen Nachrichtenbriefen der Diplomaten an ihre Auftraggeber. ((Vgl. Droste, Heiko: Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. Berlin 2006 (Nordische Geschichte 2.)) Der Buchdruck trug lediglich dazu bei, dass Informationen, die dem Wahrheitskriterium des Augenscheins verpflichtet waren, in großer Menge verbreitet und längere Zeit aufbewahrt werden konnten. Das gilt offenbar weniger für illustrierte Druckerzeugnisse. In ihnen ist kein besonderer Zwang zur genauen Darstellung optischer Sinneseindrücke festzustellen, im Gegenteil: Als Beispiel kann wiederum das Flugblatt von 1597 angeführt werden. Im Vordergrund des linken Bildes führen zwei Gestalten, vermutlich Frau und Mann, in ihren weiten Gewändern und gestenreicher Haltung einen Dialog. Die Person zur linken Seite zeigt dabei mit erhobenem Zeigefinger auf das Firmament mit seinen Himmelskörpern Sonne, Sterne und Halbmond. Im rechten Bild recken die beiden Personen nun auf der Erde kniend flehentlich ihre Hände empor. Über ihnen auf einem Bogen sitzend ist eine weitere irdische Gestalt abgebildet, flankiert von einer himmlischen Gestalt zur Linken mit ausgestrecktem Arm eine Trompete in ihrer Hand haltend. Hierbei handelt es sich wohl um Fama, Göttin des Gerüchts. Zur Rechten ist eine weitere himmlische Gestalt, ein Engel, abgebildet. Zwar zeigen die beiden Illustrationen gut erkennbare Vorgänge, deren prophetische-religiöse Botschaften mit ihren allegorischen und metaphorischen Andeutungen aber erst in Verbindung mit dem textlichen Inhalt nachvollziehbar werden.

Dagegen ist die Botschaft der in diesem Beispiel angeführten bildlichen Darstellung mit ihrer textlichen Beschreibung nahezu identisch: „Warschau / vom 1. Junii Man hat 14 Tage vor Ihr. Königl. Maj. von Schweden Ankunfft / zu Mitternacht 3 Lichter an dem Himmel gesehen / wie drey Sonnen (wie vorstehende Figur außweiset) Durch den mittelsten Circul haben sich 2 Ruhten präsentiret / in dem untersten 3 Creutze / welche 3 Creutze aber sich zuletzt gantz geleget haben / der oberste Circul ist nur halb gewesen. GOtt gebe daß es was Gutes bedeuten“. Hierbei handelt es sich um eine Nachricht der 51. Ausgabe der Revalschen Post-Zeitung vom 26. Juni 1702. Wie unschwer zu erkennen, erschien diese Zeitung in deutscher Sprache. Ihre Leser sind der (städtischen) Oberschicht der Deutsch-Balten der unter schwedischer Herrschaft stehenden Provinz Estland zuzuordnen, weshalb die Revalsche Post-Zeitung neben weiteren deutschsprachigen Avisen aus den Ostseeprovinzen als Teil der frühneuzeitlichen schwedischen Medienlandschaft hinzuzurechnen sind und als solcher in der schwedischen Pressegeschichte behandelt werden. ((Reval: Ordinari Donners­tags (Freytags) Post-Zei­tung (1675–1678), Revalsche Post-Zeitung (1689–1710); Riga: Ri­gi­sche Montags (Donnerstags) Ordinari PostZei­tung (1680), Ri­gi­sche Novel­len (1680–1710); Pernau:  Dhe Aviser (1700–1710?); Narva:  Narvische Post-Zeitung (1701–1702?), vgl. Annus, Endel: „Die im Baltikum bis 1710 erschienenen Zeitungen.“ In: Loit, Aleksander/Pirimäe, Helmut (Hg.): Die schwedischen Ostseeprovinzen Estland und Livland im 16.–18. Jahrhundert. Stockholm 1993 (Acta Universitatis Stockholmiensis: Studia Baltica Stockholmiensia 11), 423–432.)) Im Gegensatz zu den illustrierten oder auch textorientierten Flugblättern besaßen die Nachrichten der ersten periodisch erscheinenden Avisen m.E. „tagesaktuellen“ Nachrichtenwert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen die Zeitungen einmal die Woche, seit der zweiten Jahrhunderthälfte durchschnittlich zweimal pro Woche und in Ausnahmefällen sogar täglich, je nach Schlagzahl der Postkurse. Das universale, die einzelnen staatlichen Postsysteme verbindende europäische Nachrichten- und Informationsnetzwerk bildete die strukturelle Grundlage insbesondere der „Post-Zeitungen“. Handschriftliche Korrespondenzen und Nachrichtenbriefe der Agenten, Spione und Diplomaten trafen bei den Postmeistern ein, wurden dort gesammelt, sortiert und nach Einsicht der entsprechenden Zensurbehörden für den Druck freigegeben. Aus diesem Grund war das Wahrheitskriterium der Nachrichten in den Avisen besonders ausgeprägt, galt doch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Korrespondenten und Auftraggebern in der Macht-Öffentlichkeit als notwendiges Kapital im Dienste der Krone. ((Vgl. Droste, Heiko: „Ein Diplomat zwischen Familieninteressen und Königsdienst: Johan Adler Salvius in Hamburg (1630–1650).“ In: Thiessen, Hillard von/Windler, Christian (Hg.): Nähe in der Ferne. Personale Verflechtungen in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit. Berlin 2005 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 36), 87–104.)) Folglich war der Ton der Nachrichten in den Avisen betont sachlich, auch wenn in der Kriegsberichterstattung, etwa bei der Beschreibung des Feindes bisweilen propagandistische Konturen sichtbar wurden. ((Vgl. Forssberg, Anna Maria: „Glada budskap eller inga. Posttidningar under skånska kriget.“ In: Presshistorisk årsbok 24 (2007), 7–25.))

Der Nachrichtenfaktor „Schrecken“ blieb somit im Informationsmedium Zeitung unterbelichtet, Berichte über Himmelsphänomene die Ausnahme. Diese blieben den Flugblättern vorbehalten, womit ein Zusammenhang zwischen Periodizität der Nachrichtenmedien und Häufigkeit von Katastrophenmeldungen verneint werden muss. Zwar war der Zwang zur Aktualität bereits in den Frühformen der modernen Zeitung gegeben, die „aufregende“ Präsentation der Meldungen insbesondere  die der Regenbogenpresse gründet historisch auf dem Erscheinungsbild der Flugblätter.