Auf dem Weg in die Mitte – die dänische Parlamentswahl 2022

von NORDfor

Gastbeitrag von Carolin Hjort Rapp

Eine historisch spannende Wahl mit vielen Gewinner_innen und noch mehr Verlierer_innen – und der großen Frage, wo die Reise zur Regierungsbildung hingeht: nach links, rechts, oder in die Mitte?

Dänemark hat gewählt. Die Wahl, die auf Druck der Unterstützungspartei der Regierung, der sozialliberalen Radikale Venstre, am 5. Oktober von Staatsministerin Mette Frederiksen ausgeschrieben wurde, brachte viele Überraschungen. Als die Wahllokale am 1. November um 20 Uhr schlossen und die ersten Umfragen eintrafen, bestätigten sie ein Ergebnis, das nach wochenlangen Umfragen zu erwarten gewesen war: Weder der »rote Block« der Mitte-Links-Parteien noch der »blaue Block« der Mitte-Rechts-Parteien erlangten eine eindeutige Mehrheit; es zeichnete sich schon am frühen Abend ab, dass keiner der beiden Blöcke ohne die Unterstützung der neuen Partei der Mitte, den Moderaten, die vom ehemaligen Ministerpräsidenten und liberalen Parteivorsitzenden der Mitte-Rechts-Liberalen, Lars Løkke Rasmussen, angeführt wird, eine Regierung bilden könnte. Løkke Rasmussen trat 2019 als Vorsitzender der Liberalen zurück und gründete nur fünf Monate vor der Wahl die Moderaten. Der Erfolg der Moderaten ist nur eine von vielen Überraschungen und Besonderheiten dieser Wahl.

Was an dieser Wahl besonders war

Es war eine Wahl, bei der so viele Parteien aufgestellt waren, wie nie zuvor: 14 Parteien stellten sich zur Wahl – in einem Land mit circa 4,5 Millionen Wähler_innen. Zwölf Parteien konnten problemlos die 2%-Sperrklausel überwinden. Es ist die höchste Anzahl an Parteien im Parlament, die es je gab. Es war eine Wahl, bei der so viele Parteien aufgestellt waren, wie nie zuvor: 14 Parteien stellten sich zur Wahl – in einem Land mit circa 4,5 Millionen Wähler_innen. Zwölf Parteien konnten problemlos die 2%-Sperrklausel überwinden. Es ist die höchste Anzahl an Parteien im Parlament, die es je gab. Dies entspricht einer effektiven Anzahl von etwa acht Parteien, was mit dem Niveau von Israel und den Niederlanden vergleichbar ist. Eine weitere Besonderheit ist, dass es sowohl die dritt- als auch die fünft-stärkste Partei im neuen Parlament – Rasmussens Moderate (9,3%) und die rechtspopulistischen Dänischen Demokraten (8,1%) – ein halbes Jahr vor der Wahl noch nicht gab. Es war somit auch eine Wahl der Veränderung: circa 54% der Wähler_innen haben eine andere Partei als bei der letzten Wahl gewählt. Diese hohe Volatilität ist mit Sicherheit der Tatsache geschuldet, dass die dänischen Wähler_innen im Allgemeinen wenig parteitreu sind und sich oft erst sehr spät für eine Partei entscheiden. Doch diesmal gab es während des fünfwöchigen Wahlkampfes selbst für dänische Verhältnisse massive Wählerwechsel zwischen den Parteien und den Blöcken. Möglicherweise spiegelt diese weit verbreitete Wechselstimmung wider, dass die Wahlbeteiligung dem rückläufigen dänischen Trend folgte und mit 84,2 % einen neuen Tiefstand erreichte (den niedrigsten Stand seit 1990).

Neben dem Aufwuchs an Parteien, war dies auch eine Wahl, welche die Gleichberechtigung im Parlament vorangetrieben hat: 44% der Gewählten sind Frauen. Es waren auch zwei Frauen, die die meisten persönlichen Stimmen erhielten: Mette Frederiksen (60.837) und Inger Støjberg (47.211). Diese hohe Frauenquote im Parlament ist ein neuer Rekord, nachdem Dänemark über Jahre hinweg seinen Nachbarländern in der Gleichberechtigung in der Politik hinterherhing. Ursache hierfür war, dass vor allem die Parteien rechts der Mitte wenige Kandidatinnen aufstellten, insbesondere die Dänische Volkspartei, die bei dieser Wahl erhebliche Verlust erlitt.

Die Themen der Wahl

Die letzten zwei Wahlen waren thematisch von einem starken Fokus auf Immigrations- und Asylpolitik geprägt. Dies ging zunächst von der rechts-populistischen Dänischen Volkspartei aus und wurde im Wahlkampf 2019 von der Sozialdemokratischen Partei aufgenommen – es wurde sogar argumentiert, dass die Sozialdemokraten vor allem wegen dieser Kursänderung die Wahlen gewannen. Migrationsthemen hatten zuvor eine große Bedeutung bei dänischen Wahlen, jedoch nicht in diesem Jahr. Migration war ein untergeordnetes Thema, dass zwar noch auf der Agenda der Sozialdemokraten stand, jedoch keinen prominenten Platz einnahm. Welche Politik hat die Wahl also angetrieben?

Generell kann gesagt werden, dass diese Wahl mehr von Personen als von Themen geprägt war, insbesondere von Mette Frederiksen, Lars Løkke Rasmussen und Inger Støjberg. Die Energiekrise und die steigende Inflation waren ein zentrales Thema, dicht gefolgt von der Frage der Vergütung der Angestellten im Gesundheitswesen. Hierbei ging es vor allem um das Krankenhauspersonal, das insbesondere durch die Corona-Krise schwer mitgenommen ist. Obwohl weiter Klimapolitik im Wahlkampf diskutiert wurde, war dies kein so prominentes Thema wie im Wahlkampf 2019. Der Klimawandel war nur ein Nebenschauplatz in der Diskussion um eine mögliche landwirtschaftliche Abgabesteuer auf Fleisch und Milchprodukte – zwei zentrale Bereiche der dänischen Landwirtschaft.

Ein großer Gewinner und viele Verlierer

Zu den Gewinnern dieser Wahl gehören die Sozialdemokraten. Während es noch zu Beginn des Wahlkampfes nach einer möglichen Tragödie für die Partei aussah, ging sie am Ende als eindeutig stärkste Partei hervor. Mit 27,5% der Stimmen verbesserten sie ihr Ergebnis der letzten Wahl um 1,5 Punkte und erzielten somit ihr bestes Ergebnis seit 20 Jahren mit doppelt so vielen Stimmen wie die zweitgrößte Partei, die Liberalen. Nach den Worten der (ehemaligen und neuen) Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sind die Sozialdemokraten »die einzige Volkspartei in Dänemark«. Dieses Ergebnis hat sie zur »Königsmacherin« gemacht. Das heißt, dass sie von der Königin den Auftrag erhalten hat, eine neue Regierung zu bilden.

Auf der anderen Seite war das Wahlergebnis ein Schlag für die drei stärksten rechten Parteien der vergangenen Jahrzehnte – die einwanderungsfeindliche Dänische Volkspartei, die Liberalen (Venstre) und die Konservativen (Konservative). Der blaue Block hat stark verloren, insbesondere auch durch die Neugründung der Moderaten, die sich in der Mitte und nicht in einem der beiden Blöcke platzierten. Seit der Wahl 2019 haben mehrere hochrangige Mitglieder die liberale Partei Venstre verlassen, was auf interne Widerstände um den neuen Parteivorsitzenden Jakob Ellemann-Jensen hindeutet. Die meisten dieser Verluste kamen den Moderaten und der Dänischen Demokraten von Inger Støjberg zugute. Die Liberalen erreichten mit nur 13,3% der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit 1988.

Der Rückgang bei den Konservativen war geringer, aber weitaus überraschender. Sie haben in den letzten Jahren in Umfragen stetig an Unterstützung gewonnen und so kündigte ihr Vorsitzender, Søren Pape, seine Kandidatur für das Amt des Staatsministers an und konkurrierte damit mit Jakob Ellemann-Jensen von den Liberalen. Doch im Laufe des Wahlkampfs führte eine Kombination aus Skandalen, taktischen Fehlern und unpopulärer Politik dazu, dass die Konservativen innerhalb weniger Wochen in den Umfragen einbrachen. Erreichten sie Anfang September in den Umfragen noch einen Spitzenwert von 16%, kamen sie am Ende nur noch auf 5,5% der Stimmen – ein Rückgang von 1,1 Punkten gegenüber der letzten Wahl.

Schließlich haben die Wähler die einwanderungsfeindliche Dänische Volkspartei, die die 2%-Hürde mit einem Endergebnis von 2,6% nur knapp erreichte, fast ausgelöscht. Obwohl sie nie an der Regierung beteiligt war, gehörte sie 20 Jahre lang zu den mächtigsten Parteien in der dänischen Politik und setzte die strenge Einwanderungsregelung durch, die heute in Kraft ist. Jedoch haben auch andere Parteien, wie beispielsweise die Sozialdemokraten, eine strenge Einwanderungspolitik auf ihre Agenda gesetzt, was der Dänischen Volkspartei eine entscheidende Grundlage entzogen hat.

42 Tage bis zu einer neuen Regierung

Nach der Wahl war eines sicher: es würde zu langen Regierungsverhandlungen kommen. Obwohl Frederiksens roter Block eine hauchdünne Mehrheit erzielen konnte, verfolgte sie seit Beginn des Wahlkampfes das Ziel einer Regierung über die Mitte. Nach 42 Tagen intensiver Verhandlungen, die längsten Regierungsverhandlungen in der politischen Geschichte Dänemarks, bestätigte Mette Frederiksen am Abend des 13. Dezember: Die neue Regierung ist eine der Mitte, gebildet mit Sozialdemokraten, Liberalen und den Moderaten. Dies ist ein historisches Ereignis; zuletzt hat es ein solches Regierungsbündnis 1979 gegeben. Von insgesamt 23 Ministerposten gingen elf an die Sozialdemokraten, fünf an die Moderaten und sieben an die Liberalen. Das am 14. Dezember veröffentlichte Regierungsprogramm zeigt Zugeständnisse der Sozialdemokraten an die Liberalen, insbesondere in Hinblick auf die Steuerpolitik. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob diese Regierung der Mitte trägt. Bereits jetzt gibt es Zweifel aus dem Umfeld der Liberalen, ob sie vier Jahre überstehen kann; die letzte Regierung über die Mitte hielt lediglich 14 Monate.

Carolin Hjort Rapp ist Associate Professor am Institut für Politikwissenschaften der Unversität Kopenhagen.

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