- 06.06.2012
- Kategorie Sonstiges
Deutsch als Wissenschaftssprache in Nordeuropa
Ich war Montag und Dienstag dieser Woche Referent auf einer Schulung der iDA, der Internationalen DAAD-Akademie. Dort wurden unter dem Titel „Regionalkompetenz: Skandinavien“ ((Eine Frage in der Diskussion nach dem Vortrag veranlasste mich zu dem Hinweis, dass „Nordeuropa“ oder „nordische Länder“ etwas passender sei, wenn man Island und Finnland mit in das Regionsverständnis einbeziehe. Die Organisatorinnen gelobten, für weitere Seminare terminologisch umzudenken…)) VertreterInnen aus Auslandsämtern und WissenschaftlerInnen, die im Wissenschaftsaustausch mit Nordeuropa aktiv sind, über das Hochschulwesen, Trends in der Internationalisierung und die neuesten hochschulpolitischen Entwicklungen ins Bild gesetzt. Mir oblag die historische Einführung, einmal ein grober Überblick über die Geschichte Nordeuropas (in 45 Min!), und dann über die Geschichte der höheren Bildung. Ein Aspekt in beiden Vorträgen, der sich dann sehr stark in der Diskussion über die heutige Arbeit deutscher International Offices widerspiegelte, war die Rolle bzw. nicht mehr vorhandene Rolle des Deutschen als Wissenschaftssprache in Nordeuropa.
Die Tradition der deutschen Sprache in Nordeuropa reicht weit zurück – im Prinzip bis ins Mittelalter. Durch die starke Präsenz der Hanse im Ostseeraum war Mittelniederdeutsch lingua francain dieser Region. Der Kontakt mit der deutsch(sprachig)en Kultur setzte sich durch Reformation, Aufklärung, Romantik weiter fort. Wichtige Impulse wurden oft über deutschsprachige Veröffentlichungen rezipiert, am dänischen Hof war Deutsch bis Ende des 18. Jahrhunderts eine Normalität. Im 19. Jahrhundert begannen die Landessprachen – und Deutsch – Latein als Wissenschaftssprache abzulösen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert war es für viele Wissenschaftler ein „Muss“, Deutsch zu beherrschen und einen Aufenthalt oder eine Karrierephase in Deutschland verbracht zu haben. Das heute gängige Karrieremerkmal „btA“ [been to America] war damals ein „iDg“ [in Deutschland gewesen]. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Dissertationen in der nordeuropäischen Wissenschaftslandschaft auf Deutsch verfasst. Natürlich war die Orientierung auf Deutschland nicht die einzige, das wäre übertrieben. Sie war jedoch fächerübergreifend lange sehr wichtig. ((Vgl. zu dem Thema Prinz, Michael / Korhonen, Jarmo (Hg.): Deutsch als Wissenschaftssprache im Ostseeraum – Geschichte und Gegenwart. Akten zum Humboldt-Kolleg an der Universität Helsinki, 27. bis 29. Mai 2010. Frankfurt a.M. et al. 2011 (= Finnische Beiträge zur Germanistik; 27).))
Mit dem Ersten Weltkrieg setzte dann eine Abwendung von Deutschland ein, die vor allem durch den Zweiten Weltkrieg nur noch verstärkt wurde. Kulturelle und wissenschaftliche Orientierungen änderten sich, der Blick Richtung anglo-amerikanischer Welt wurde immer stärker. Die popkulturelle und mediale Präsenz der englischsprachigen Länder in den nordeuropäischen Öffentlichkeiten ist sehr stark. Deutsch hat als Schulsprache enorm verloren. ((Immerhin scheint Deutsch im schwedischen Erwachsenenbildungssektor etwas Zulauf zu erfahren, wie DRadio Wissen letzten November berichtete.)) Mehr Jugendliche lernen jedoch Spanisch als Deutsch, für viele bleibt es aber ohnehin „nur“ beim Englischen.
Um den Bogen zum Anfang zurück zu schlagen: Fehlende Sprachkenntnisse sind ein Problem bei dem Unterfangen, in diesem Fall nordeuropäische Studierende nach Deutschland zu locken. Das betrifft andere Länder aber sicherlich genauso. In dem Zusammenhang könnte man ja auch nochmal die Frage aufgreifen, die Pascal Föhr hier auf hypotheses.org gestellt hat: Sollen wir jetzt alle lieber auf Englisch schreiben? Weitergeführt: Sollen wir jetzt lauter englischsprachige Studienprogramme aus dem Boden stampfen? Es können ja auch nicht alle, die Wissenschaftskontakte mit Nordeuropa wünschen, gleich noch mal Dänisch oder Finnisch lernen…
Dem nicht nur in Nordeuropa zu verzeichnenden Niedergang des Deutschen hier mit national(istisch)en Tränen nachzuweinen, ist nicht mein Anliegen. Aber wie sollen wir uns zu diesem Phänomen verhalten? Wie können wir im wissenschaftlichen Austausch pragmatisch, aber auch produktiv damit umgehen?