Deutsch-Finnische Historikerseminare – Aktuelles und Historisches

von Jan Hecker-Stampehl

Am 15. Februar, also in fast zwei Wochen ist es soweit: Das Deutsch-Finnische Historikerseminar findet bei uns am Nordeuropa-Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Deutschland und Finnland sind über die Jahrhunderte hinweg durch enge kulturelle, wissenschaftliche, aber natürlich auch wirtschaftliche und politische Kontakte verbunden gewesen. Zugegeben, eine asymmetrische Beziehung, aber immerhin ist es bemerkenswert, dass es seit nunmehr 40 Jahren gemeinsame Tagungen von deutschen und finnischen Kolleginnen und Kollegen gibt.

Angefangen hat alles mit gemeinsamen Tagungen von „Gesellschaftswissenschaftlern“ aus Finnland und der DDR, bis 1990 brachte man es bis auf zwölf gemeinsame Seminare, die alternierend in Finnland und Ostdeutschland stattfanden. Im Nachgang haben sich Kritiker zu Wort gemeldet, die sich darüber mokierten, dass Wissenschaftler eines westlichen Landes sich mit Vertretern ‚marxistisch-leninistischer Pseudowissenschaft‘ einließen. Seien die gemeinsamen Treffen nicht ohnehin von den Interessen der DDR-Führung geleitet gewesen und hätten sich die finnischen Historiker nicht einer zu großen Nähe zum Sozialismus verdächtig gemacht? ((Vgl. Kalela, Jorma: „’Die Finnenseminare’: Die Zusammenarbeit zwischen den Historikern Finnlands und der DDR – Rückblick eines Beteiligten.“ In: Hösch, Edgar, Jorma Kalela und Hermann Beyer-Thoma (Hgg.): Deutschland und Finnland im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 1999 (= Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München/Reihe Forschungen zum Ostseeraum; 4), S. 31–43.))

Sicherlich halfen das auch im Finnland der 1970er Jahre anzutreffende Interesse am Marxismus als wissenschaftlicher Methode und die insgesamt geringere Unvoreingenommenheit der DDR gegenüber dem Projekt auf die Sprünge. Finnlands Politik der ‚Äquidistanz‘ gegenüber beiden deutschen Staaten hatte im Westen zwar zum unsäglichen und vielfach kritisierten Unwort von der „Finnlandisierung“ geführt. Die (nicht ganz freiwillige) Nähe zum großen Nachbarn Sowjetunion und deren zeitweilig starker Einfluss auf die finnische Politik hatten allerdings nicht eine frühere einseitige Anerkennung der DDR durch die Finnen bedeutet. Anders als in anderen nordeuropäischen Ländern waren es in Finnland aber nicht nur Vertreter linker Parteien, die diplomatische Beziehungen mit Ostdeutschland forderten, sondern das gesamte Parteienspektrum. Ende der 1960er Jahre war es zudem bereits zu einem bilateralen Kulturprotokoll gekommen. Im Umfeld der Anerkennung beider deutscher Staaten (nicht nur) durch Finnland 1972/73 kam es dann zu einer Kontaktaufnahme von Greifswalder Nordeuropawissenschaftlern und Historikern mit Helsinkier Kollegen. Die DDR-Nordeuropaforschung war nahezu vollständig auf die Universität Greifswald konzentriert worden, wo man bereits in der Weimarer Republik eine interdisziplinäre Nordeuropawissenschaft und ein eigenes Institut für Finnlandkunde eingerichtet hatte. ((Menger, Manfred/Putensen, Dörte: „Finnlandkundliche Traditionen der Universität Greifswald.“ In: Pauli Kettunen, A. Kultanen, Timo Soikkanen (Hg.): Jäljillä. Kirjoituksia historian ongelmista, Osa 2. Turku 2000, S. 37–59.))

Meine Ausleihquittung aus der Institutsbibliothek von vor ein paar Tagen zeigt deutlich, dass ich mich intensiv auf das Seminar vorbereite. Ein Kollege kommentierte zudem die große Bandbreite der Themen, die der Leihzettel aufweise…
CC-BY JHS 

Tatsächlich handelte es sich bei diesen gemeinsamen Treffen um ein für DDR-Verhältnisse eher untypisches bottom-up-Projekt, das zwar gerne von der Partei- und Staatsführung gesehen wurde, aber nicht von ihr initiiert worden war. Auf finnischer Seite half das Bildungsministerium durch Gelder und politische Unterstützung. Für die ostdeutschen Finnlandforscher waren die gemeinsamen Tagungen wertvolle Möglichkeiten, um mit Experten auf ihrem Gebiet in Austausch zu treten, westliche Forschungstrends zu verfolgen und bei den Reisen zu den finnischen Tagungsorten auch Archivarbeiten durchzuführen oder westliche Forschungsliteratur zu beschaffen. Für die finnischen Vertreter bedeuteten die Seminare Begegnung mit dem lange bewunderten wissenschaftlichen Vorbildland Deutschland – in diesem Fall in seiner ostdeutschen sozialistischen Ausführung. In den 1970er Jahren war der Abschied vom Deutschen als Wissenschaftssprache in Nordeuropa noch nicht vollständig vollzogen, gerade in Finnland war es nach wie  vor Arbeitssprache für viele Akademiker. Die von finnischer Seite beteiligten Historiker haben sich – was natürlich nicht ganz unproblematisch ist – selbst an die Aufarbeitung dieser ostdeutsch-finnischen Tagungen begeben, teils eher apologetisch ((Kalela 1999)), teils in deutlich selbstkritischerer Tendenz ((Hentilä, Seppo: Harppi-Saksan haarukassa. DDR:n poliittinen vaikutus Suomessa. [Vom Sichel-Deutschland aufgespießt. Der politische Einfluss der DDR in Finnland] Helsinki 2004 (= SKS:n toimituksia; 1004), S. 242–256.)) So hat Seppo Hentilä, langjähriges Mitglied der ‚Kerntruppe‘, eingeräumt, dass man die Haltung der finnischen Teilnehmer als eine Art ‚Finnlandisierung‘ sehen könnte. Während die DDR-Wissenschaftler des Öfteren sehr kritische Vorträge über Finnland und Nordeuropa hielten. ((Ein Beispiel: Der Vortrag von Wolfang Fritsch auf dem in Espoo bei Helsinki 1974 abgehaltenen zweiten Seminar: „Einige Aspekte des Zusammenhangs zwischen der nordischen Strategie des finnischen Monopolkapitals und den Prozessen der imperialistischen Integration in Westeuropa.“ Siehe „Verzeichnis sämtlicher auf den sieben Seminaren 1973–1981 gehaltenen Referate.“ In: 7. Gesellschaftswissenschaftliches Seminar DDR–Finnland. Materialien des 7. Gemeinsamen Seminars von Historikern und anderen Gesellschaftswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Finnland in Kloster und Greifswald (DDR) vom 27. September bis 2. Oktober 1981. Greifswald 1982 (Wissenschaftliche Beiträge der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald zur Nordeuropa-Forschung), S. 176–181, hier: S. 176.)) , waren umgekehrt die Mauertoten oder die Unterdrückung der politischen Opposition in der DDR kein Thema. Wie Hentilä meint, war dies eine von beiden Seiten gewahrte Vorsicht, da die Kooperation ansonsten unmittelbar beendet gewesen sei. ((Hentilä 2004, S. 248f.))

Ende der 1980er Jahre begannen Münchner Osteuropahistoriker um den seinerzeitigen Lehrstuhlinhaber Edgar Hösch ebenfalls mit gemeinsamen Tagungen mit finnischen Kollegen. In der Bundesrepublik hatte die Osteuropäische Geschichte mit die bedeutendsten (west-)deutschen Beiträge zur Erforschung der finnischen Geschichte geleistet, die Jahrbücher für Geschichte Osteuropas hatten langjährige finnische Mitherausgeber. ((Hösch, Edgar: „Deutsch-finnische Zusammenarbeit in der Osteuropa-Forschung. Die Jahrbücher für Geschichte Osteuropas.” In: Waltraud Bastman-Bühner (Red.): Zur Neuorientierung der finnisch-deutschen Kulturbeziehungen nach 1945. Beiträge von Teilnehmern des Finnisch-Deutschen Seminars 5. Snellman-Seminar, 19.5.–23.5.1999. Helsinki 2000, S. 101–110.)) Ehe man sich versah, hatte man gerade mal zwei westdeutsch-finnische Treffen geschafft und schon war die Berliner Mauer gefallen. Seit 1990 sind die beiden Tagungstraditionen dann „friedlich vereinigt“ weitergegangen und i.d.R. alle drei Jahre trifft man sich mal in Finnland, mal in Deutschland. Berlin ist dieses Jahr überhaupt zum ersten Mal Veranstaltungsort und das Nordeuropa-Institut erstmals Gastgeber.

Es bleibt, das sei durchaus eingeräumt, ein wenig erstaunlich, dass es nun schon seit vier Jahrzehnten gemeinsame Tagungen gerade mit Finnland gibt. Man kann die üblichen Floskeln von den langjährigen Beziehungen, die eingangs hier erwähnt wurden, zitieren, doch verweist dies ja auf eine vergangene Zeit. Wenn die gemeinsamen Tagungen – zudem noch mit immer wieder neuen Gesichtern und neuen Themen – dann doch weitergehen, zeigt das wohl, dass das gegenseitige Interesse nach wie vor vorhanden ist und die Tagungstradition eine Zukunft vor sich hat…

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