Die Präsidentenwahl in Finnland 2018 – über die Parlamentarisierung der finnischen Demokratie

von Sven Jochem

Finnland war bis zur Verfassungsreform von 2000 eindeutig eine semi-präsidentielle Demokratie. Lange Zeit beeindruckte die Machtfülle finnischer Präsidenten – wie zum Beispiel unter den Präsidentschaften von Urho Kekkonen (1956–1982) oder Mauno Koivisto (1982–1994). Vor allem die Außenpolitik wurde von den finnischen Präsidenten geprägt, insbesondere das Verhältnis Finnlands zur UdSSR oder zu Russland waren Hauptaufgabenfelder.

Bei der Präsidentenwahl vom 28. Januar 2018 wurde erstmals, seit die Direktwahl des finnischen Präsidenten 1994 eingeführt wurde, ein Kandidat im ersten Wahlgang gewählt: Sauli Niinistö, der amtierende Präsident, ehemalige Parlamentspräsident und ehemalige Justiz- und Finanzminister der konservativen Sammlungspartei, erzielte gleich im ersten Wahlgang 62,7 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 69,9 Prozent. Obwohl dem finnischen Präsidenten in der reformierten Verfassung durchaus noch Machtbefugnisse in der Außen- und Sicherheitspolitik zugestanden werden, zeigte der jüngste Wahlkampf, dass der finnische Präsident Sauli Niinistö in der parlamentarischen Demokratie angekommen ist.

Im Wahlkampf hat sich gezeigt, dass die insgesamt acht Kandidatinnen und Kandidaten keine strittigen Themen besetzten, zu keiner Zeit konnte von einem kontroversen oder „heißen“ Wahlkampf gesprochen werden. Die Frage einer NATO-Mitgliedschaft und insgesamt das Verhältnis Finnlands zu Russland waren zwar durchaus Themen, die in der Öffentlichkeit auch umstritten sind. Aber die Kandidaten vermieden meist konkrete Stellungnahmen und ließen solche Themen in der Schwebe. Insofern konnte der Präsident Sauli Niinistö seinen Amtsbonus ausspielen, nicht zuletzt da er im vergangenen Jahr beim 100jährigen Jubiläum der finnischen Unabhängigkeit medial quasi omnipräsent war. Im Dezember 2017 berichteten Umfragen von einer Unterstützung von über 80 Prozent für Niinistö. Diese Werte waren zwar mit der Zeit deutlich rückläufig. Dennoch präferierten unmittelbar vor der Wahl noch 63 Prozent der Wahlbevölkerung den amtierenden Präsidenten. Auf Rang zwei wurde der Kandidat der Grünen Partei, Pekka Haavisto, mit nur 14 Prozent gelistet, der bereits bei der vergangenen Wahl als Zweitplatzierter einen Achtungserfolg erzielt. Letztlich erreichte Sauli Niinistö 62,7 Prozent aller Stimmen, auf Rang zwei wählten die Finnen den Grünen-Politiker Pekka Haavisto mit 12,4 Prozent. Der ehemalige Ministerpräsident der Zentrumspartei, Matti Vanhanen, musste ein für die Partei des aktuellen Ministerpräsidenten (Juha Sipilä) äußerst blamables Ergebnis von nur 4,1 Prozent hinnehmen.

Gleichzeitig hat der alte und neue finnische Präsident Sauli Niinistö sich selbst und dem Amt des finnischen Präsidenten eine weitreichende Entpolitisierung verordnet. Im Gegensatz zur Regierungszeit seiner Vorgängerin, der Sozialdemokratin Tarja Halonen, hat Niinistö sehr selten den politischen Konflikt mit dem Parlament oder der Regierung gesucht. Es ist daher kein Zufall, dass Sauli Niinistö den Wahlkampf nicht als parteipolitisch gebundener Politiker führte. Er verkündete im Frühjahr 2017, dass er nicht als Kandidat der Konservativen Partei antrete, sondern als unabhängiger Kandidat. Rasch konnte Niinistö die nötigen Unterstützer nachweisen, statt mindestens 20.000 Unterstützer konnte er in kurzer Zeit 156.000 Unterstützer mobilisieren – ein deutliches Signal für seine Beliebtheit in der finnischen Gesellschaft. Gleichwohl hat die konservative Sammlungspartei Niinistö im Wahlkampf unterstützt, er erhielt zudem die offizielle Unterstützung der finnischen Christdemokraten.

Mit Sauli Niinistö kam es auch zu einer auffallenden Entpolitisierung im präsidialen Politikfeld sui generis, der Außen- und Sicherheitspolitik. Denn die Verfassung sieht immer noch den Präsidenten als wegweisend im Bereich der Außenpolitik, allerdings „im Zusammenwirken mit dem Staatsrat“, der finnischen Regierung (Artikel 93 des finnischen Grundgesetzes). Es ist in der Öffentlichkeit bekannt, dass der wiedergewählte Präsident – wie seine Partei insgesamt – eine NATO-Mitgliedschaft Finnlands befürwortet. Allerdings hat er diese Position im Wahlkampf eher zurückhaltend präsentiert. Diese Frage stehe für ihn einerseits gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung, und andererseits müsse nach Niinistö diese Frage Gegenstand eines Referendums sein.

Das alles zeigt, dass der neugewählte Präsident Sauli Niinistö in der parlamentarischen Demokratie Finnlands angekommen ist. Der wiedergewählte finnische Präsident Sauli Niinistö hat, auch wenn ihm in der Verfassung durchaus noch Regierungskompetenzen zugewiesen werden, die Verfassungswirklichkeit einer parlamentarischen Demokratie ohne präsidiale Machtbefugnisse realisiert. Insofern ist es an der Zeit, die Lehrbücher zur finnischen Demokratie zu aktualisieren: Finnland kann kaum mehr als semi-präsidiale Demokratie bezeichnet werden; es ist jetzt eine parlamentarische Demokratie, in der dem Präsidenten vor allem repräsentative Aufgaben und die Funktion einer moralischen Instanz über dem letztlich politisch entscheidenden parlamentarischen Parteienwettbewerb zukommt.