- 05.02.2013
- Kategorie Geschichte / Archäologie Digital Humanities
Digitalisierung als Schutz vor Archiv-Diebstählen? Erörterungen im Nachgang zum dänischen Aktenklau-Skandal
Kollege Zimmermann drüben auf dem Umstrittenen Gedächtnis hat kürzlich die im letzten Herbst aufgeflogene Diebstahlserie im dänischen Reichsarchiv pointiert zusammengefasst. Die Lektüre hat mich nochmal selbst zum Nachlesen und -denken gebracht und ich bin auf einige Aspekte gestoßen, die von dem konkreten Fall auf die größere Thematik „Digitalisierung von Archivmaterial“ verweisen. Eine interessante Facette der in Dänemark geführten und durch den Archivklau ausgelösten Debatte verweist auf die Digitalisierung der Akten als einen möglichen Schutz vor solchen Diebstählen. Tatsächlich haben mehrere Politiker die Frage aufgeworfen, ob nicht eine weitgehende Digitalisierung der Bestände eine Lösung sein könnte. In die gleiche Richtung argumentiert ein dänischer IBM-Vertreter in einem YouTube-Video, der fordert, die „wichtigen Teile“ des Archivs als Reaktion auf den Diebstahl zu digitalisieren (das Video ist nur für des Dänischen Kundige zu verstehen…):
Ausgehend von der Idee der Digitalisierung als Diebstahlschutz lässt sich der IT-Experte auch über die allgemein zu konstatierenden Vorteile der elektronischen Verfügbarkeit im Netz aus – die Argumente sind sattsam bekannt (Nutzung am heimischen Bildschirm durch den Otto-Normal-User, Aktivieren der Schwarmintelligenz mittel social tagging etc.). Allerdings scheint dem guten Mann nicht bewusst zu sein, dass die Digitalisierung der Bestände schon längst im Gang ist und seit gut 20 Jahren schon läuft. Nun gut – die Frage wäre aber auch, was denn „wichtige Teile“ eines Archivs sein sollen. Selbstverständlich werden Prioritäten verschiedener Art festgelegt, wobei eine nicht zu unterschätzende materieller Art ist: Abnutzung durch Gebrauch und sonstiger Verschleiss sind Argumente, die neben inhaltliche treten. Generell lässt sich natürlich sagen: Was viel genutzt wird, ist am frühesten angegriffen, und sollte geschützt werden. Die Vorstellung, dass die Originale in Zukunft nie wieder oder nur in seltenen Ausnahmefällen die Magazine verlassen, ist indes abwegig.
Reichsarchivar Asbjørn Hellum hat die Forderungen nach einer Totaldigitalisierung als unrealisierbar zurückgewiesen, zumindest wenn es bei den bisherigen Mittelzuweisungen und Personalkapazitäten bliebe. Nachdem die von Robert Zimmermann bereits beschriebenen neuen Sicherheits- und Überwachungsregularien nicht auf Vorliebe stießen, kam dennoch die als naiv zu bezeichnende Idee, den Diebstahlschutz mithilfe des Dokumenten- und Buchscanners zu lösen, auf. Das Reichsarchiv sah hat nach dem Diebstahlskandal immer wieder die Frage „warum digitalisiert man nicht einfach die Sammlungen?“ erhalten. Daher sah man sich zur Produktion eines kleinen Videos auf seinem YouTube-Kanal veranlasst, in dem man die Forderungen als Ausgangspunkt nahm, um die Digitalisierungsstrategien und -möglichkeiten des wichtigsten dänischen Archivs zu erläutern (leider wiederum nur auf Dänisch, aber es ist ganz hübsch anzusehen, wie der PR-Chef da durch das Magazin fährt!):
Der Chef für die Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit Jeppe Bjørn geht hier auf die seit 20 Jahren währenden Bemühungen zur Bewahrung der Archivbestände durch Digitalisierung ein und meint, in der besten aller Welten würde man den Inhalt aller Aktenkartons mit dem Scanner einlesen, doch bei einer Zahl von drei Millionen solcher Kartons (die ja zudem ständig weiterwächst) stellt sich die Frage nicht. Dennoch setzt man seit längerem darauf, die auf Dänisch als „e-arkivalier“ bezeichneten Quellen dem Publikum im Netz leicht zugänglich zu machen. Es gibt eine eigene Seiten für das digitale Material, unter arkivalieronline.dk finden sich über 18,85 Millionen Einzelbilder von den verschiedensten Akten. Stolz wird auf der Nachrichtenseite des Archivs über die Fortschritte bei der Arbeit an dieser Online-Quellenpräsenz berichtet.
Indes kann man nicht übersehen, dass eine so einfach klingende Forderung wie „digitalisiert die Archive!“ (wie oben im ersten YouTube-Video) nicht nur die inhaltlichen, materiellen und monetären Probleme gewärtigen muss. Bei aller Offenheit für Neuerungen sind Archivarinnen und Archivare durch die umfassenden Änderungen ihres Arbeitsumfeldes stark gefordert. Viele Fragen, die sich der forschenden Benutzerseite stellen, stellen sich ihnen aus anderer Perspektive. Das Anforderungsprofil an den Archivarberuf ändert sich rasant und bringt bei allen Chancen auch Unsicherheiten mit sich. Auf einem dänischen Archivar-Gruppenblog werden diese Fragen aufgegriffen und offen auf Fragezeichen, die in Zusammenhang mit der Digitalisierungsdebatte auftauchen, eingegangen.
So viele Möglichkeiten die neuen Technologien also bieten – sie arbeiten nicht von selbst und der Umgang mit ihnen erfordert einiges an Umdenken und an Planung. Bei der Setzung der Prioritäten folgt man sicherlich gewissen Prämissen (nicht immer ist klar, welchen), doch werden diese aus der Sicht vieler unbefriedigend sein oder unpassend gewählt sein. Angesichts der Masse an Quellenmaterial und der Menge an Fragestellungen wird man, etwas binsenweise gesprochen, nie allen gerecht werden. Aber die Frage ist: Wer oder was gibt letztendlich den Ausschlag bei der Benennung solcher Prioritäten?