- 06.07.2017
- Kategorie Kulturgeschichte
Einfach glücklich sein
Ein neues Magazin: hygge
O Müßiggang, Müßiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen, und selig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.
Friedrich Schlegel: Lucinde
Der Zeitgeist weht, wo er will, manchmal um viele Ecken und ohne dass er gebraucht würde. Früher war die Suche nach Glück eine Angelegenheit für Philosophen, dann für Theologen, heute haben dieses Terrain Journalisten und Glücksforscher besetzt, unter ihnen die Psychologen und die Demoskopen an erster Stelle; selten hat man das Glück, auf einen zum Thema befugten Philosophen zu stoßen.
Ein Gang durch eine beliebige Bahnhofsbuchhandlung nährt den Verdacht, dass am Glücksbedürfnis des kleinen Mannes gut zu verdienen ist – vor allem aber, so der Anschein, werden die Glück suchende Frau (und auch die Kleinsten) mit Glücksratgebern, mit Poesie und Belletristik, mit Schnickschnack, vor allem aber mit vielen bunten Bildern und noch mehr Esoterik gelockt: Glück ist machbar, Frau Nachbar! Dem statistischen Befund zuwider arbeiten die schreibenden und die fotografierenden Zünfte an einer beim Publikum offenbar unstillbaren Sehnsucht nach dem Landleben, keineswegs dem einfachen – es wird geackert und geerntet, eingemacht und gebacken, dass es eine wahre Freude ist. Auch Fahrrad fahren soll glücklich machen.
Seit Jahren besonders erfolgreich für die „schönen Seiten des Lebens“ ist mit einer Auflage von über 600.000 Exemplaren „Landlust“ aus dem Münsteraner Landwirtschaftsverlag; dieser, zusammen mit dem Hamburger Gruner + Jahr Verlag, bringt nun ein weiteres Druckerzeugnis auf den Markt.
„Ferien für immer“
Pünktlich zu Mittsommer 2017, am 21. Juni, erschien das erste Heft des vom Gruner + Jahr Verlag vollmundig angekündigten Wohlfühlmagazin für die „Frauen zwischen 25 und 55 Jahren“: „hygge. Das Magazin für das einfache Glück“ (man beachte: das erste g ist kursiv gesetzt!). Das Heft aus Hamburg war angekündigt mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren – einer großen Verkaufshoffnung mithin. In „einer warmen und reduzierten Bildsprache mit hoher Emotionalität“ wollen die Macherinnen das Lebensgefühl von heute ansprechen. Als Nebentitel prangen auf dem erschreckend banalen Cover die Worte „einfach glücklich sein“, sie sind sowohl zusammen als auch getrennt zu lesen – aber sicherlich mit der Betonung auf dem ersten Wort: einfach.
Der Geschäftsführer der Verlagsgruppe postulierte: „Der Wunsch nach Besinnung auf das Wesentliche im Leben ist ein absoluter Trend in unserer Gesellschaft. Wir suchen nach Gemütlichkeit, Ruhe, Gemeinsamkeit und Glück. Die Dänen nennen es Hygge. Ihr Glück und die skandinavische Lebensart sind weltbekannt …“ Hatten frühere Generation im Norden das Idealbild des arischen Menschen gefunden, so ist es heute eine vorgestellte Welt zwischen Bullerbü und Nordseestrand, eben hygge, coziness, Gemütlichkeit. Das Mittsommerheft spielt an Badeseen, in Birken- und Kiefernwäldern, bei Sonnenauf- und -untergängen: „Ferien für immer“ wird zugestanden – die Hefte für den langen Winter werden dann gewiss den obligatorischen Kerzenschein, das Sinnbild der Gemütlichkeit, abbilden. Früher war Kur auf Kasse, heute ist hygge für fünf Euro – Wellness und ganzjähriges Weihnachten, 164 Seiten Hochglanzfotos und eine Sprache getränkt von Glücksgefühlen, sechsmal im Jahr…
Billigt man den Magazin-Erfindern auch eine gewisse Freiheit in ihrem Marketing-Sprech für die Notwendigkeit der Verallgemeinerung zu, so darf doch angesichts der politischen Debatten dieser Tage gefragt werden, ob „das Wesentliche“ unserer Gesellschaften – der deutschen wie auch der skandinavischen – nicht eher die Suche nach Sicherheit im Alltag (Arbeitsplatzsicherheit, soziale und gesundheitliche Sicherheit) und nach Gewissheit über eine würdige Alterssicherheit ist als die Suche nach Gemütlichkeit und Glück, von den allpräsenten Gefahren des Terrorismus zu schweigen. Aber was soll’s – auch in Deutschland muss dringend die Marktlücke gefüllt werden, in der sich vor allem die angelsächsischen Verlage und Printmedien ausgebreitet haben, selbst in Frankreich haben die hygge-Apologeten zugeschlagen. Aber auch die deutschen Zeitungen füllen ihre Wochenendbeilagen seit etwa zwei Jahren mit dem hygge-Thema: Von der New York Times bis zum Guardian, von Die Zeit, über Focus und die Titanic wird sich, reich bebildert, ergötzt an der vermeintlichen dänischen Alltagsausrichtung auf Wollsocken, Kerzenschein, Kamin und Glühwein in trauter Gemeinschaft mit Ehegatten, Freunden, Kindern, Nachbarn und Arbeitskollegen. In München, in New York und anderswo gibt es hygge-Shops, das Internet ist voll von hygge-Angeboten; die Frankfurter Skandinavistik-Kollegen kündigen ein Übersetzer-Seminar an unter dem Titel „Jenseits von Hygge“, Karen Blixen grüßt aus Kenia. Wer den skandinavischen Alltag kennt – und nicht nur den Urlaubsalltag (auf den im vorliegenden Magazin gerne Bezug genommen wird) –, der darf sich angesichts dieses Hypes nur wundern.
Die „Gemeinschaft“ der Hamburger hygge-Welt, in der es Männer nur nebenbei gibt, ist von Frauen zwischen 25 und 55 Jahren bevölkert. Diese Zauberwesen backen gerne, kümmern sich um die ästhetisch anspruchsvolle Wohnungseinrichtung, planen den Familienurlaub, singen, sammeln Blaubeeren, gärtnern – sind also ausgefüllt mit den klassischen Frauentätigkeiten von heute… Die Motivik der reduzierten Hochglanzpolitur zeigt die Welt der fünfziger Jahre, Heimchen und Herd im Ambiente des 21. Jahrhunderts – das Leben ist ein Ponyhof, so hätten wir es gerne! Die Vergleichung mit einem IKEA-Katalog ist naheliegend. Feminismus und Genderwahn sind von gestern.
Wie Dänemarks hygge die ganze Welt beglückt
Das glückliche Dänemark – inzwischen hat Norwegen die Nachbarn vom lange besetzten ersten Platz der internationalen Glücksrangliste vertrieben – ist zu einem bemerkenswerten nationalen Brand geworden. Was für Italien das mittelmeerische Klima, die antiken Ruinen, der römisch-katholische Mittelpunkt der Welt, das dolce far niente sind, das ist für Dänemark in dieser einen Eigenschaft der hygge zusammengeschnurrt. Der „World Happiness Report“, jährlich am 20. März, dem Welt-Glückstag, lanciert und von einer Gruppe vermeintlich unabhängiger Experten unter der Ägide (aber nicht im Namen) der Vereinten Nationen präsentiert, hat eine ganze Schar von Glücksprofis auf den Plan gerufen, die sich der Ursachenerforschung für die dänische Wohligkeit verschrieben haben. Ihr rührigster ist Meik Wiking, Leiter eines Kopenhagener Institutes zur Glücksforschung (davon gibt es, wie bei Wikipedia leicht aufzufinden ist, inzwischen eine Vielzahl auf der ganzen Welt). Er ist der Stichwortgeber für den hygge-Hype, er lieferte die durchschlagkräftigsten Bausteine für die konstruktivistischen Plausibilitäten des dänischen Glücksgefühls. Dänemark kann über diesen Marketing-Strategen glücklich sein; er brachte Dänemark in die Medien, lancierte die Propaganda für eine wirkmächtige Image-Bildung in der Postmoderne; nicht mehr die hässlichen Mohammed-Karikaturen werden zu Dänemark assoziiert, nicht mehr die noch hässlichere Fremdenfeindlichkeit – sondern die wahrgewordene Utopie der Menschheit, und das ausgerechnet im kleinen Dänemark, im Staate Dänemark ist nichts mehr faul: Glück ist möglich und bedarf nur wenig Anstrengung – gewendet in einer aktuellen Spruchweisheit: Chillen ist die Kunst, sich beim Nichtstun nicht zu langweilen.
Das hygge-Magazin ist ein weiterer Beleg für den Erfolg der Wiking-Strategie: Der Titel der deutschen Ausgabe seines Buches – Hygge. Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht – kommt wörtlich auf dem Cover der Zeitschrift vor, als habe er den Ghostwriter gemacht – oder ist es ein Plagiat? Die ästhetische Anmutung des Magazins, das Layout und die Bildgestaltung sind kongruent mit dem Erscheinungsbild des Wiking-Buches. Es ist die gleiche Welt, in der sich die Artdirektoren, Grafiker und Layouter bewegen. Bezeichnenderweise heißt das Buch auf Englisch The Little Book of Lykke. Secrets of the World’s Happiest People (lykke ist das dänische Wort für Glück), die französische Ausgabe wird dann gleich unter dem Titel Le Livre du Hygge vermarktet.
Von Landlust und Norden-Sehnsucht
Es fällt aber nicht nur eine Internationale der hygge-Narreteien in der äußeren Gestaltung und der Themen auf – es ist ganz offensichtlich, dass auch ein deutsches Magazin beim jüngsten Erzeugnis Pate gestanden hat: Das erwähnte „Landlust“. Man kann dies aus der Struktur der Hefte und der Gestaltung herauslesen, sie sind nahezu identisch; wer sich bei der „Landlust“ auskennt, wird auch gut durch hygge navigieren können.
Das Heft spiegelt die vorgestellte Wohlfühlwelt des Nordens wider, den die Autorinnen zugestandenermaßen auch in anderen Weltgegenden zu finden meinen, also in jeder schlichten Wohnküche. Sie wollen nicht die Alltagswirklichkeit Dänemarks und Skandinaviens abbilden – das muten sich schließlich auch die internationalen Glücksforscher nicht zu. Nein, es sind die eingefangenen Momente der Urlaubsglückseligkeit, der im Norden verbrachten Sabbaticals und der ewigen Norden-Sehnsucht, die die skandinavische Wohlfahrts- und Wohlstandswelt für die Realität gewordene Utopie halten, das soziale Paradies mithin. „Resilienz“ wäre der aktuell inflationär gebrauchte Begriff aus dem Wissenschaftssprech, er soll dem Unbehagen an der globalisierten Moderne akademische Seriosität einhauchen.
Schweden in Dänemark
Die soziale Wirklichkeit Skandinaviens sieht anders aus, als es sich die hygge-Apologeten vorstellen: Wenn auf der rechten Seite vermutet wird, den Dänen (!) fliege das Glück mit einer beneidenswerten Leichtigkeit zu, links aber ganzseitig zwei ältere Damen in einer schwedischen (!) Tracht abgebildet werden, dann ist das ein Verstoß gegen den transnationalen Comment. Dänen tragen keine Tracht; vor allem aber gilt das Grundgesetz nicht nur bei allfälligen Fußballmeisterschaften: Schweden und Dänen sind von Natur gegensätzlich – die traditionelle, die transnationale Witzkultur zeugt davon. Wer gegen diese Grunderkenntnis verstößt, wird mit einem Bann belegt. Der Bezug zum dänischen hygge macht die Konfusion in den Zuordnungen evident: Die abgebildeten Häuschen am Strand sind schwedische, die Kiefernwälder ebenso; die „Zimtschnecke“ ist urschwedisch: kanelbulle (der deutsche „Klammeraffe“ für das Zeichen „@“ wird auf Schwedisch auch „kanelbulle“ genannt). Es spricht ja nichts dagegen, das italienische dolce far niente als südliche hygge auszugeben – aber die kulturellen Besonderheiten der Skandinavier verdienten eine fundiertere Behandlung.
Auch das nach dem Hörensagen wiedergegebene Gesetz von Jante als sozialer Codex im Norden („Glaube ja nicht, dass du besser bist als wir!“) ist gerade nicht die Anweisung für ein entspannteres und gerechteres Gemeinschaftsleben, sondern die regelmäßig ironisch aufgespießte Selbstkritik an der verbreiteten sozialen Grundhaltung des Kleinbürgers, des Blockwarts, der alles unter Kontrolle halten will; es drückt eine humorige Art der Distanz zur Gleichmacherei aus. Wann immer also etwas Herausragendes passiert, eine Frau etwa eine Führungsposition in der Wirtschaft erklimmt, dann wird das als Sieg gegen Jante gefeiert.
Man kann gespannt sein, was die Branding-Experten, die Medienhäuser und die Glücksforscher sich demnächst einfallen lassen werden – nachdem Norwegen 2017 von Dänemark die Führung der Glücksskala übernommen hat. Oder seit das Bundesland Schleswig-Holstein („Der echte Norden“!) sich selbst zum „Glückwachstumsgebiet“ erklärt hat: Den Umfragen zufolge leben zwischen den Meeren die glücklichsten Menschen in Deutschland, „Strand, Sonne, Meer – das ist das Glück“. Jedenfalls, ein Magazin gibt es bereits: „LandGang, mein schöner Norden“, es erscheint sechsmal im Jahr und hat aktuell eine Auflage von 42.000 Exemplaren: „Glück ist keine Glückssache. Jeder kann an dem seinen arbeiten, ist zum Teil dafür verantwortlich“ – auch von diesem Blatt haben die hygge-Hamburger sich ganz offensichtlich inspirieren lassen. Die offiziellen Image-Erfinder und -Verwerter der Touristikbranche und Wirtschaftsanwerber haben die Sticker, Broschüren, Apps und Sprüche bereits auf den Markt geworfen: „Links Wasser. Rechts Wasser. Dazwischen: trockener Humor“.
hygge und die andere Seite der Medaille
Ob wir nach dieser hygge-Medienpräokkupation mit einem Run auf die Skandinavistik-Institute zu rechnen haben? Ob sich noch mehr junge Frauen (und Männer) motiviert fühlen, das Studium der Skandinavistik aufzunehmen in der Hoffnung, es dann ganz genau zu erfahren? Ich will es nicht wünschen, aber es steht zu befürchten, dass dieser Hype seine Folgen haben wird. Eine Empfehlung in die ganz andere Richtung wäre allerdings auch zu erwägen: Wenn die Redaktion und die Magazinmacherinnen sich mal in die Skandinavistik-Seminare setzen würden, oder wenn sie mal gelegentlich skandinavische Krimis anschauten oder läsen, wenn sie in die Gesundheitsstatistiken jener Länder mit der gemütlichen Lebensweise schauten, wenn ihnen – Gott behüte – mal ein lebensnaher Einblick in das skandinavische Krankenhaus- und Gesundheitssystem gegönnt wäre…dann würden sie erfahren, dass die nordischen Gesellschaften vieles mit den südlichen und westlichen Wohlfahrtsgesellschaften gemein haben – Mord und Totschlag, Alkoholismus und unprovozierte Gewalt gibt es auch im Alltag des Nordens; hygge kann auch ganz schön ungemütlich sein. Entspannung, Urlaub und Weihnachten sind nicht der Alltag.
Prof. em. Dr. Bernd Henningsen, Nordeuropa-Institut, Humboldt-Universität zu Berlin