Erinnerung und Politik: Ein Blick auf Geschichte und Kultur im deutsch-dänischen Austausch 2017–2020

von NORDfor

Ein Gastbeitrag von Friis Arne Petersen
Botschafter des Königreichs Dänemark in Deutschland

zum Editorial 2020 von Joachim Grage „Dänisch-deutsche Geschichtsvergessenheit“

 

»Sich für das deutsch-dänische Verhältnis interessieren muss heißen, uns unserer eigenen Geschichte zuzuwenden und uns daran zu erinnern, wer wir selbst sind. Tatsache ist: die Deutschen sind für uns nicht nur eine größere Bereicherung, als geahnt, sondern wir sind auch reicher, als wir ahnen.«               ~ Der Schriftsteller Knud Romer in einem Interview mit Morten Rohde.[1]

Der dänische Schriftsteller Knud Romer hätte eigentlich im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse auftreten sollen. Gerne hätten wir Romer mit seinem scharfen Blick für die dänische und deutsche Kultur auf der Bühne gehabt, und gerne hätten wir seine Gedanken über unsere gemeinsame Geschichte und Zukunft gehört. In dem Interview mit Morten Rohde macht Romer darauf aufmerksam, dass unser kultureller Austausch uns gerne klüger machen soll – auch über uns selbst. Aber dann kam die Corona-Krise, ein Land nach dem anderen fuhr das öffentliche Leben herunter, und im Zuge des Lockdowns musste die lange Reihe der für das Frühjahr geplanten deutsch-dänischen Kulturbegegnungen abgesagt werden. Doch der Austausch pausiert nur, der intensive Dialog zwischen Dänemark und Deutschland wird nach der Gesundheitskrise fortgesetzt: mit vielen neuen Erkenntnissen und neuen Perspektiven auf unsere gegenseitige Abhängigkeit und die Möglichkeiten, just mittels Kultur und kultureller Zusammenarbeit ein besseres und sinnerfülltes Miteinander zu gestalten.

Professor Joachim Grages lesenswertes Editorial im Heft 2020 von Nordeuropaforum ist ein idealer Anlass, um auch hier den Dialog weiterzuführen und über die Erfahrungen nachzudenken, die wir während der dreijährigen deutsch-dänischen Kulturinitiative und in der ersten Phase des deutsch-dänischen kulturellen Freundschaftsjahrs 2020 gesammelt haben. Das laufende Freundschaftsjahr ist der Höhepunkt einer groß angelegten Initiative, die 2017 vom dänischen Internationalen Kulturpanel (IKP)[2] auf den Weg gebracht wurde und die Deutschland-Strategie der dänischen Regierung um eine notwendige (und meiner Meinung nach vorausschauende) kulturelle Dimension bereichert hat.

Das dänische Interesse am Nachbarland Deutschland zeigt seit längerem eine stetig steigende Tendenz. Wir sehen das in den Medien, der Bevölkerung, der Kunst, in der Wissenschaft und im Kulturbereich. Deutschlands Bedeutung und Rolle als einer der wichtigsten und engsten Verbündeten Dänemarks ist seit geraumer Zeit Gegenstand großer, anhaltend wachsender politischer Aufmerksamkeit. Im aktuellen großen Jubiläumsjahr 2020 tragen die dänische wie auch die deutsche Regierung diesem Umstand mit einer besonderen Kulturinitiative Rechnung.

Mit einer Reihe bereits speziell geförderter Kooperationsprojekte in Politik und Wirtschaft boten sich in Deutschland hervorragende Voraussetzungen, um auch den kulturellen Austausch zu stärken. Mit Blick auf die deutsche Länderstruktur verfolgte die Kulturstrategie der dänischen Regierung das wichtige Ziel, in so vielen Bundesländern wie möglich neue, dauerhafte Kontakte auf Behördenebene zu knüpfen – vor allem im Süden des Landes. Erklärtes Ziel war zudem, die aktuellen Kunst- und Kulturszenen mit einander zu vernetzen und den Grundstein für neue Zusammenarbeiten und bislang unerprobte Kombinationen zu legen.

Wichtig ist dabei auch, das kulturelle Freundschaftsjahr im Zusammenhang mit der Feier des hundertjährigen Jubiläums von »Genforeningen« zu sehen, ein Begriff, der im Deutschen allerdings nicht mit »Wiedervereinigung« übersetzt werden sollte. Die Feierlichkeiten von »Genforeningen 2020« wurden von einem eigenen Sekretariat koordiniert. Betrachtet man das umfangreiche, hübsche Portfolio von Initiativen und konkreten Projekten, findet man viele – große und kleine, spezielle wie breit aufgestellte, kritische und unterhaltsame – die sich in Gestalt von Ausstellungen und Theaterstücken, Publikationen und Publikumsveranstaltungen explizit mit der deutsch-dänischen Geschichte beschäftigen. Als ein Beispiel sei die Ausstellung »Grænsen er nået[3]. Abstimmungsplakate im Grenzland 1920« herausgegriffen, die Exemplare dänischer und deutscher Wahlplakate aus dem entscheidenden Jahr der Volksabstimmung zeigt. Hier wird kein Hehl aus Stellenwert und Stoßrichtung der damals herrschenden Nationalrhetorik gemacht. Gleichzeitig wirft die Ausstellung einen aktuellen Blick auf die Politik und Stimmungslage in der Grenzregion.[4] Auch die zeitgenössischen Kunstprojekte im Rahmen des Jubiläums reflektieren historische wie aktuelle Bezüge: Im Museumsberg Flensburg wurde vergangenen Herbst die Ausstellung »Grenze, Grænse, граница« gezeigt, die sich auf ernste und spielerische Art mit sichtbaren und unsichtbaren Grenzen von damals und heute beschäftigt.[5] Und in den letzten Wochen feierte die neue Dokudrama-Serie Grenzland von Danmarks Radio Fernsehpremiere. Mit ihr erreicht die Geschichte der Grenzregion ein breites Publikum, denn auch vielen Dänen, die außerhalb der Grenzregion leben, ist dieser so wichtige Teil der gemeinsamen dänisch-deutschen Geschichte nicht vertraut.

Beim Genforenings-Jubiläum liegt das Augenmerk auf der Grenzregion, der dänischen und deutschen Minderheit und der großen historischen Bedeutung der Volksabstimmung von 1920 – für Dänemark, Deutschland und Europa. Ein historisches Ereignis vom Format des großen hundertjährigen Genforenings-Jubiläums bietet freilich Anlass zu besonderer politischer Aufmerksamkeit. Als Beispiel sei hervorgehoben, dass Dänemark und Deutschland das Minderheitenmodell bei der UNESCO als gemeinsamen Kandidaten für Weltkulturerbe eingereicht haben. In diesem Zusammenhang äußerte sich Staatsministerin Michelle Müntefering:

»Das Zusammenleben im deutsch-dänischen Grenzland ist eine Erfolgsgeschichte. Denn hier ist eine Modellregion für das Miteinander entstanden. Die Kraft der Kultur hat entscheidend dazu beigetragen, dass Grenzen in dieser Region nicht mehr trennen, sondern verbinden. So ist aus einem Gegeneinander ein Miteinander und schließlich ein Füreinander geworden. Daher freue ich mich, dass wir in diesem Jahr auch mit dem deutsch-dänischen kulturellen Freundschaftsjahr die gute Nachbarschaft in der deutsch-dänischen Grenzregion feiern. Dass wir gemeinsam – Dänemark und Deutschland – die Bewerbung zur Nominierung des deutsch-dänischen Minderheitenmodells bei der UNESCO einreichen, ist gerade in der aktuellen Krise ein immens wichtiges Signal für Austausch, Dialog und kulturelle Zusammenarbeit in Europa[6]

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Austausch mit Deutschland – sei es im Bereich von Kultur, Politik oder Wirtschaft – stets von tiefem Respekt für seine Geschichte und den Umgang mit ihr begleitet sein muss. Die Geschichte spielt hier auf unübersehbare Art in das politische Geschehen hinein, was – um den Dialog gestalten zu können, zu dem wir als Botschaft einen Beitrag leisten – auch ihre genaue Kenntnis voraussetzt. Dessen sind wir uns immer bewusst.

Hier ein sehr erfreuliches Beispiel für die Wirkkraft, die der Fokus auf die gemeinsame Geschichte des Grenzlands in der Politik und der breiten Bevölkerung entfaltet hat: Das deutsche Engagement für diesen Aspekt gemeinsamer deutsch-dänischer Nachbarschaftsgeschichte hat sich in der großzügigen Förderung niedergeschlagen, welche die Bundesregierung und das Land Schleswig-Holstein dem neuen »Flucht«-Museum in Varde bewilligt haben.

Die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien sagte in diesem Zusammenhang:

»Wir haben als enge Nachbarn eine gemeinsame Geschichte. Für die Landesregierung ist es deshalb sehr wichtig, dieses einmalige Projekt im „Deutsch-Dänischen Kulturellen Freundschaftsjahr“ gemeinsam mit der Bundesregierung zu unterstützen.«

In Zeiten der Flüchtlingsströme nach Europa sei ein Museum, das dieses historische und höchst aktuelle Thema aufnehme, ein großartiger Beitrag zur kulturellen Bildung, zur Verständigung und Überwindung von kulturellen Grenzen. Zwischen 1945 und 1949 hätten bis zu 35.000 Deutsche gleichzeitig in Dänemarks größtem Flüchtlingslager in Oksböl gelebt. Aus den einstigen Ostgebieten seien sie in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges per Schiff ins deutsch besetzte Dänemark evakuiert worden. Das 1941 von der deutschen Wehrmacht errichtete Lazarett des ehemaligen Flüchtlingslagers solle zu einem Flüchtlingsmuseum aufgebaut werden und damit das gleichzeitig historische und aktuelle Flüchtlingsthema vermitteln. Die Kosten für das neue Museum betrügen rund 13,6 Millionen Euro. Die Bundesrepublik Deutschland steuere 1,3 Millionen Euro zur Finanzierung bei, Schleswig-Holstein 100.000 Euro. Der Löwenanteil komme von der Varde Kommune, dem dänischen Staat, der Königin Margarethe und Prinz Henrik Stiftung und vielen weiteren dänischen und auch einigen deutschen Stiftungen.“[7]

Gerne unterstützt die dänische Regierung solche gemeinsamen visionären Kooperationsprojekte und trägt damit zur Aufrechterhaltung eines grenzüberschreitenden Dialogs über unsere gemeinsame Geschichte bei – ohne dabei belastete und problematische Kapitel auszuklammern. Während beim Genforenings-Jubiläum der Fokus selbstverständlich auf der Grenzregion, den Minderheiten und dem bedeutenden kulturellen Leben der Region liegt, umspannt das deutsch-dänische Kulturelle Freundschaftsjahr ganz Dänemark und Deutschland. Die Absicht war einerseits, einen Rahmen für das große und wichtige Jubiläum der Grenzregion zu schaffen und somit die zentrale Rolle dieser Region für das deutsch-dänische Verhältnis zu unterstreichen. Zum anderen soll das Freundschaftsjahr deutlich machen, dass die starken und engen Bande zwischen Dänemark und Deutschland sich nicht auf diese spezifische Region beschränken, sondern auf unglaublich vielen Gebieten in historisch dichten Verbindungen zwischen Künstlern, Denkern und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, zwischen Institutionen und Museen, Bürgern und Kulturkonsumenten zum Ausdruck kommen – von Schwerin bis München, von Köln nach Leipzig.

Über allem schwebt dabei die Geschichte. Für mich als dänischer Botschafter war es ein Geschenk, Persönlichkeiten wie Joachim Gauck zu begegnen, der mit ebenso großem persönlichem Engagement wie historischer Sachkenntnis dafür eintritt, dass wir nie vergessen dürfen. Er betont unter anderem, wie wichtig es ist, dass »wir uns unserer Geschichte ehrlich stellen« – ein Maßstab, an dem auch wir uns orientieren. Gauck hätte an einer großen Publikumsveranstaltung in Haderslev anlässlich des Genforenings-Jubiläums teilnehmen sollen. Als weiteres Beispiel möchte ich die Begegnung mit einem leidenschaftlichen Museumsmenschen wie Hartmut Dorgerloh nennen, dem Direktor des Humboldt Forums, der vor der großen Herausforderung steht, eine imposante Schlosskopie – im besten Bewusstsein der eigenen historischen Verankerung und Verantwortung für Gegenwart und Zukunft – in einen lebendigen Ort der Begegnung zu verwandeln.

Die Fähigkeit der Deutschen, wichtiger historischer Ereignisse reflektiert, kritisch und nuanciert zu gedenken, ist beeindruckend. Der 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs oder das 65-jährige Jubiläum der Bonn-Kopenhagener Erklärungen sind Beispiele solcher bedeutender Gedenktage, und wir als Botschaft beteiligen uns stets an der Würdigung historischer Ereignisse, wie zum Beispiel dem Stauffenberg-Attentat oder der Befreiung von Sachsenhausen. Gleichzeitig ergreifen wir auch gern selbst die Initiative zu einem zeitgenössischen Blick auf die Geschichte.

Es war uns ein Anliegen, einen Beitrag zum Europäischen Kulturerbejahr 2018 zu leisten, einer groß angelegten Initiative zur Förderung der Sichtbarkeit und Relevanz unseres gemeinsamen Kulturerbes – immer auch mit Blick auf zukünftige Entwicklungen. Hier haben wir – im Rahmen sowohl der Kulturstrategie für Deutschland und des bevorstehenden Deutsch-Dänischen Kulturellen Freundschaftsjahrs – an der Organisation einer Konferenz über Erinnerung und Politik mitgewirkt, die während der europäischen Kulturerbewoche im Sommer 2018 stattfand.[8] »Problematic inheritance« lautete der Titel von Dr. phil. Carsten Porskrog Rasmussens Vortrag über das Verhältnis von Denkmälern und Erinnerung in der deutsch-dänischen Grenzregion. Dr. Rasmussen ist Leiter des Bereichs Historische Forschung am Museum Sønderjylland und hat für die Reihe »100 Dänemark-Geschichten« aus Anlass des Genforenings-Jubiläums auch die Publikation »Das Herzogtum« beigesteuert.

Die Konferenz – eine Kooperation der Dänischen Botschaft, des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz und der dänischen Schloss- und Kulturverwaltung – konnte darüber hinaus auch mit Beiträgen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung Berliner Mauer aufwarten. Der Direktor des Dänischen Museums für Kunst im öffentlichen Raum[9] berichtete von aktuellen Beispielen problematischer Erinnerungskultur.

Anhand zahlreicher Beispiele umstrittener Denkmäler und von Versuchen, moderne Denkmäler zu gestalten, konnten wir etwas über die Rolle der Erinnerungskultur im öffentlichen Raum lernen. Diese Diskussion betrifft uns alle und beschränkt sich nicht auf den akademischen Bereich. Die Vorträge und Diskussionen der Tagung machten auch bewusst, dass Erinnerungskultur zwar eine staatliche Initiative sein kann, Erinnerung zugleich aber auch zeitgebunden ist und – da immer persönlich und interessengeleitet – vielerlei Formen annehmen kann.

Das Deutsch-Dänische Kulturelle Freundschaftsjahr 2020

Das kulturelle Freundschaftsjahr ist eine wichtige Regierungsinitiative, die Handlungskraft und Mut zum Setzen von Prioritäten zeigt. Ihr breit angelegter, nicht auf eine bestimmte Auslegung der Geschichte fixierter Rahmen bietet Raum für ganz unterschiedliche Arten von Projekten und Reflexionen historischer sowie zeitgenössischer künstlerischer Art. Das wird aus der langen Reihe von konkreten Aktivitäten, Initiativen und Vereinbarungen zukünftiger Zusammenarbeit ersichtlich.

Mit der feierlichen Eröffnung der großen Deutschland-Ausstellung im Kopenhagener Nationalmuseum am 8. November 2019 wurde gleichzeitig der Beginn des deutsch-dänischen Freundschaftsjahrs eingeläutet. Keine Geringere als die dänische Königin Margrethe II. nahm im Beisein von Deutschlands Außenminister Heiko Maas und des dänischen Außenministers Jeppe Kofod die festliche Einweihung der Sonderausstellung vor. In München wurde das Freundschaftsjahr im Beisein Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Benedikte mit einem Stück moderner klassischer Musik aus der Feder des dänischen Komponisten Hans Abrahamsen eröffnet. Mit seiner Oper »Die Schneekönigin« gelangte ein Stück dänischer Kultur nach München, das – inspiriert von einer kulturellen Ikone – sowohl die Formsprache der Musik als auch das Publikum herausfordert. Ein denkbar guter Ausgangspunkt für den fortgesetzten Kulturdialog in München, wo man wenige Monate später in der Ausstellung »Werke und Tage« in der Antikensammlung anhand des experimentellen Umgangs mit der Staatlichen Dänischen Schmucksammlung einen Eindruck von unserem Demokratieverständnis gewinnen konnte.

Ein aus meiner Sicht sehr wichtiges Projekt des Freundschaftsjahrs mit langfristiger Perspektive ist die noch junge Zusammenarbeit zwischen den Varde-Museen und der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit Sitz in Berlin. Das Thema, das die beiden Museumsinstitutionen miteinander verbindet, ist die große Zahl von Deutschen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nach Dänemark flohen. Ein sowohl in Dänemark als auch in Deutschland bis vor kurzem nur wenig präsenter Aspekt der Geschichte, der aber nun in einem Akt beispielhafter Kooperation in Sachen historische Quellen, Zeitzeugen und Austausch von Erfahrungen und Forschungsergebnissen aufgearbeitet wird. Interessanterweise stehen beide Museen im Begriff, neue Ausstellungsräume zu beziehen, die das Thema Flucht nicht nur historisch, sondern auch unter aktuellem Gesichtspunkt beleuchten. Ein brennendes Thema – es wird spannend zu sehen, wie sich die neuen Museumsinstitutionen dieser Herausforderung annehmen werden.

Ein weiteres Beispiel für ein Projekt im Rahmen des Freundschaftsjahrs ist ein Kultur- und Demokratiefestival, das wir in Kooperation mit dem Berliner Humboldt Forum planen. Ein in Deutschland bislang unerprobtes Format, bei dem nach dem Vorbild der dänischen und schwedischen Volks- und Kulturtreffen Debatte, Dialog und Politik im Zentrum stehen sollen. Es soll – wenn alles gut geht – im Herbst über die Bühne gehen. Querbeet durchs politische Spektrum, Kulturgenres und Forschungsdisziplinen sollen die Festivalbesucher miteinander über die vielen gemeinsamen Herausforderungen und aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen diskutieren, denen unsere globale Gesellschaft heute gegenübersteht. Unsere beiden Länder mögen zwar Nachbarn und Mitglieder der EU sein – doch wie gut kennen wir einander eigentlich? Und was können uns zeitgenössische Kunst und Kultur zum Thema nationale Identität und Grenzen sagen? Welche Perspektiven und Antworten vermögen Kunst und Kultur uns auf die Herausforderungen geben, mit denen Phänomene wie die Corona-Krise, Globalisierung, neue digitale Technologien und soziale Fragmentierung uns konfrontieren? Wovon träumen die jungen Menschen in Dänemark und Deutschland heute? Durch Gespräche, Performances, Debatten, künstlerische Interventionen und andere Möglichkeiten des Miteinanders soll das Festival demokratische Debatte und Willensbildung in Aktion sein. Die Museumsinstitution als Partner und Rahmen bürgt dabei für die historische Verankerung und das Reflexionsniveau. Ein Experiment? Allerdings, aber eines, von dem das Humboldt Forum und wir voll überzeugt sind.

Das Deutsch-Dänische Kulturelle Freundschaftsjahr und seine vielen guten Projekte haben durch die Corona-Krise einen ordentlichen Dämpfer erlitten, aber wir sehen bei unseren Partnern weiterhin den festen Willen, die Zusammenarbeit weiterzuführen und Möglichkeiten zu sondieren, die Festivals, Ausstellungen, Konzerte und Debatten im nächsten Jahr wieder aufleben zu lassen. Der Begriff »Freundschaftsjahr« mag in manchen Ohren vielleicht etwas unzeitgemäß sozialistisch und noch dazu top-down klingen. Ja, es ist eine Regierungsinitiative, aber zum einen signalisiert sie Kooperationsbereitschaft auf allen Ebenen, zum anderen ist unsere Erfahrung – sowohl meine persönliche als auch die meiner Kollegen – dass das Freundschaftsjahr und die tatkräftige Initiative der Regierung von den Akteuren der Kunst- und Kulturwelt besonders positiv aufgenommen wurde und einer Fülle von neuen Kontakten in ganz Deutschland den Weg gebahnt hat.

Wir hoffen, an dieser Stelle einen Eindruck von der Vielfalt der Projekte des Freundschaftsjahrs und des Genforenings-Jubiläums vermittelt zu haben. Im Netz, das ja bloß eines von vielen Medien zur Orientierung und Informierung darstellt, findet sich nur eine knappe Auswahl. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich nicht die Dänische Botschaft, sondern die vielen dezentralen Partnerschaften und die Kreativität der jeweiligen Institutionen.

Über die Organisationen, Vereine sowie einzelne Personen des Kulturlebens hinaus haben wir auch Sorge getragen, den universitären Bereich mit einzubeziehen. In Dänemark wie in Deutschland sind der Hochschulsektor und unsere wissenschaftlichen Institutionen von oberster gesellschaftlicher Bedeutung.

Aus diesem Grund haben wir uns auch mit Begeisterung an der Planung der großen deutsch-dänischen MatchPoints-Konferenz an der Universität Aarhus beteiligt, die leider aufgrund der Corona-Krise verschoben werden musste, aber hoffentlich eine zweite Chance bekommen wird.[10] Ebenfalls fertig konzipiert war auch eine konzentrierte Version der besagten Konferenz, von der wir hoffen, dass sie in digitaler Form über die Bühne gehen kann.

Ein schönes Beispiel für die Aktualität unserer Kontakte zur Hochschulforschung in Deutschland ist die diesjährige Tagung zum Thema Grenzregion. Im Januar fand in unseren Räumlichkeiten der Auftakt zur Tagung »GRENZ\RAUM – GRÆNSE\REGION« statt, die vom Nordeuropa-Institut Berlin ausgerichtet wurde. Eine ebenso lehrreiche wie kritische Podiumsdiskussion vermittelte das Bild einer Region, in der sich nicht immer alle einig sind (auch nicht darüber, wie das hundertjährige Jubiläum zu begehen sei), aber in der doch Einigkeit herrscht, dass der Grundstein für ein friedliches Miteinander gelegt ist. Und es entstand der Eindruck einer Region mit einer Vielzahl engagierter Institutionen und Verbände, die zu einem lebendigen Vereins- und Kulturleben beitragen – und zur Fortsetzung des Dialogs.

Ganz aktuell planen wir gemeinsam mit den Dänischlektor*innen der deutschen Universitäten ein Lektorentreffen in Berlin, das hoffentlich im Herbst stattfinden kann und an dem Vertreter*innen der Skandinavistik-Institute aus ihrer Forschung und Lehrerfahrung berichten werden. In diesem Rahmen soll auch eine neue Publikation über »Deutsch-dänische Kriege. Historische Konflikte und nationale Identitäten«[11] vorgestellt werden.

Dieser Dialog und das gegenseitige Nutzen unserer Ressourcen lassen sich mit Sicherheit noch intensivieren. Das würde uns sehr freuen, und wir – und unser schönes Botschaftsgebäude in Berlin – stehen dafür gern zur Verfügung!

Unsere vielen Partnerschaften im universitären Bereich, mit Museums-, Kunst- und Kulturinstitutionen sowie mit Vereinen und Organisationen bilden ein unschätzbares Fundament für unseren Beitrag zur Entwicklung der deutsch-dänischen Beziehungen. Ohne Diskussion über das Geschichtsbild und konkrete kritische Auseinandersetzungen damit können wir nicht nach vorne schauen. Das ist – mehr als alles andere – eine Erkenntnis, die wir in der Begegnung mit der deutschen Politik und Kultur gewonnen haben. Dieser demokratische Dialog ist die Basis, um den großen wachsenden Herausforderungen zu begegnen, vor denen wir in Europa stehen. Wir sind überzeugt, dass Deutschland und Dänemark durch engere Zusammenarbeit dazu beitragen können, Wegmarken für die Zukunft zu setzen.

 

[1] https://www.nabolandskanalerne.dk/article/jeg-fik-verden-foraeret-gange

[2] https://kum.dk/kulturpolitik/internationalt-kultursamarbejde/det-internationale-kulturpanel/

[3] Der dänische Titel »Grænsen er nået« (wörtlich: »die Grenze ist erreicht«) hat den doppelten Wortsinn von »jetzt reicht’s!« und »die Grenze ist errungen«.

[4] https://genforeningen2020.dk/arrangementskalender/?s=&date=&place=&category=Udstilling%2c&activity=4335

[5] https://genforeningen2020.dk/arrangementskalender/?s=&date=&place=&category=Udstilling%2c&activity=4335

[6] https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/deutsch-daenisches-minderheitenmodell-nominiert

[7] https://hallo-holstein.de/2020/01/26/kulturministerin-karin-prien-freut-sich-ueber-zusaetzliche-mittel-von-65-millionen-euro-fuer-den-kulturbereich-schleswig-holstein-staerkt-die-kulturelle-infrastruktur/

[8] https://www.nordischebotschaften.org/veranstaltungen/memory-and-politics

[9] https://www.koes.dk/

[10] https://matchpointsk.au.dk/

[11] https://hum.ku.dk/kalender/2016/april/tysk-danske_krige/ (Vorläufiger Titel. Die geplante Publikation von Anna Lena Sandberg und Torben Jelsbak (Universität Kopenhagen) basiert unter anderem auf dieser Konferenz).

 

Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer