- 29.01.2015
- Kategorie Politik / Gesellschaft
Finnland, Schweden und die NATO-Frage
In der letzten Zeit verdichten sich Signale für eine immer stärkere Annäherung der beiden neutralen nordischen Länder Finnland und Schweden an die NATO. In beiden Ländern galt die Neutralitätspolitik lange als in die nationale Identität derart eingebrannt, dass man eine Aufgabe dieser Position bis vor nicht allzu langer Zeit für unwahrscheinlich hielt. Doch zeigt sich, dass wir offensichtlich – das habe ich schon an anderer Stelle in Bezug auf Finnland geschrieben – einen historischen Paradigmenwechsel erleben. Vor allem die bürgerlichen Parteien in Schweden und Finnland setzen sich immer vehementer dafür ein, die Voraussetzungen für einen Beitrittsantrag zu sondieren. ((Die Europa-Redaktion des Deutschlandfunks widmete dem Thema am 28.1.2015 einen eigenen Beitrag, nachzuhören und -lesen unter Schweden, Finnland und die NATO. Zögerliche Annäherung.)) Es wird kaum überraschen, dass die Ukraine-Krise bei dieser Diskussion eine eminente Rolle spielt…
Die Bindungen an die NATO sind für Schweden und Finnen nicht neu: Im Rahmen des Partnership-for-Peace-Abkommens begann 1994 eine Einbindung auch von Nicht-Mitgliedstaaten in die militärische Kooperation. Somit können die neutralen Staaten etwa an NATO-geführten Friedenssicherungsoperationen mitwirken. Finnland und Schweden gehören zu den aktivsten Partnerländern der NATO und investieren teilweise höhere Summen in ihren Verteidigungsbudgets als manche Mitgliedsländer. Kurioserweise haben Finnland und Schweden den baltischen Staaten nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit dabei geholfen, ihre militärischen Strukturen aufzubauen und sie im Grunde damit fit für ihren NATO-Beitritt gemacht. Die beiden Länder haben sich dem westlichen Verteidigungsbündnis seit Ende des Kalten Krieges bereits deutlich stärker angenähert als die anderen europäischen neutralen Länder Irland, Österreich und Schweiz:
„Finland and Sweden […] have adopted maximalist policies of ‘everything but membership’“ ((Andrew Cottey: „The European Neutrals and NATO: Ambiguous Partnership.“ In: Contemporary Security Policy 34 (2013:3), S. 446–472, hier: S. 447. Der Aufsatz bietet gute knapp gehaltene historische Kontextualisierungen der Neutralitätspolitiken und analysiert die jetzige NATO-Debatte in den fünf neutralen Ländern komparativ.))
Im britischen Economist stellte man Mitte 2014 lapidar fest:
„Sweden and Finland stopped being neutral years ago. They both participate in NATO exercises, commit troops to its rapid-reaction force, took part in peacekeeping operations in Bosnia and Kosovo, joined the fight in Afghanistan and, in the case of Sweden, even got involved in the 2011 air war in Libya. The two Nordic countries are thus more willing participants in the transatlantic alliance than several full members (Germany refused to have anything to do with Libya). Yet they do not enjoy the biggest benefits of NATO: a seat at the decision-making table and the protection afforded by Article 5, the clause that defines an attack on one as an attack on all.“ (( „What price neutrality?“ In: The Economist, 21.6.2014 [ursprünglich in der Druckversion], hier zitiert nach der Online-Version, abzurufen unter http://www.economist.com/news/europe/21604586-russia-stokes-fresh-debate-among-nordics-about-nato-membership-what-price-neutrality (zuletzt abgerufen am 29.1.2015).))
Ein genauerer Blick zeigt: Die Beiträge Schwedens und Finnlands etwa zu friedenssichernden Maßnahmen in Bosnien und im Kosovo unter NATO-Führung sind mit denjenigen von Mitgliedsstaaten ähnlicher Bevölkerungsgröße vergleichbar. Trotz der Wertschätzung, welche man seitens der NATO für Finnland, insbesondere wohl aber für Schweden als militärischen Partner zeigt, hat man indes keine offiziellen Versuche unternommen, die nordischen Neutralen zu einem Beitritt zu ermutigen. Dies einerseits, um die Debatte in den Ländern selbst – die nach wie vor kontrovers bleibt – nicht unnötig kontraproduktiv zu beeinflussen, aber möglicherweise auch, um Russland nicht zu verärgern, ehe die Angelegenheit wirklich aktuell wird. Allerdings kommt es seitens einiger Mitgliedsstaaten durchaus zu Irritationen: Sind Schweden und Finnen nun Partner oder Mitglieder? Denn die Kooperation ist bereits so eng, dass manche Beobachter schon bald den Punkt erreicht sehen, an dem nur die Teilnahme an der Beschlussfassung in Brüssel noch einen Unterschied zwischen einer finnischen und schwedischen Mitgliedschaft oder Nicht-Mitgliedschaft darstellt. Beide benehmen sich im Prinzip schon fast wie NATO-Mitglieder, so ein irischer Politikwissenschaftler. ((Cottey: „The European Neutrals and NATO“, S. 461, 464–465.)) Nicht alle Mitgliedsstaaten sind darüber glücklich. Und die baltischen Staaten stellen eine sich abzeichnende schwedische sicherheitspolitische Führungsrolle für Nordeuropa und die Ostsee (was die westliche Seite betrifft) wegen der fehlenden NATO-Mitgliedschaft Stockholms in Frage. ((Magnus Nordenman: „On the transatlantic edge. Nordic security after the Afghan war and the Ukraine crisis.“ In: The RUSI Journal 159 (2014:3), S. 46–52, hier: S. 49–50.))
Es tut sich aber noch Weiteres in der Verteidigungspolitik beider Länder: Im Juni 2014 ((Damals war noch die bürgerliche Regierung in Schweden im Amt, im Herbst kam es zu einem Wechsel auf dem Posten der Verteidigungsministerin.)) wurde eine engere militärische Zusammenarbeit vereinbart, was ebenfalls als Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine gedeutet wird. Die Vereinbarung von Helsinki ((Der Link führt zur englischsprachigen Fassung.)) sieht vor, dass diese Zusammenarbeit bis zum Februar 2015 in politische Beschlüsse umgesetzt und danach in die Planungsabläufe der jeweiligen Ministerien und der Streitkräfte implementiert werden. Der finnische Verteidigungsminister Carl Haglund setzt stark auf eine weitere sicherheitspolitische Verknüpfung mit dem Nachbarn und der schwedische Oberbefehlshaber sieht gar bereits ein gemeinsames Marine-Kommando auf der Ostsee für das Jahr 2023 am Horizont. Auch in der Luftwaffe will man stärker miteinander kooperieren. Haglund setzt auch mit deswegen auf die schwedisch-finnische Karte, weil er die öffentliche Meinung in Finnland noch nicht reif für einen NATO-Beitritt hält. Es wird aber auch nicht an einem gemeinsamen geschlossenen Beitritt beider Länder zur NATO gearbeitet, wie man im Herbst 2014 betonte.
Die sozialdemokratisch geführte Regierung in Stockholm reagiert auf die NATO-Frage derweil eher vage und zögerlich. Nachdem sich Verteidigungsministerin Margot Wallström häufiger eher ablehnend oder allenfalls vorsichtig äußerte, scheint sie sich nun für eine offenere Diskussion einer NATO-Mitgliedschaft Schwedens zu öffnen. Da die schwedische Sozialdemokratie so stark wie wohl keine andere Partei lange zur Allianzfreiheit stand, wertet die schwedische Tageszeitung Expressen diesen Umschwung gar als „sensationell“. Die Opposition kritisiert, dass Wallström nicht offen agiert und dass sie keine eindeutigere Regierungsmeinung als „man kann alles diskutieren“ formuliert. Dabei zeigen Meinungsumfragen in Schweden, dass die Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich stärkere Sympathien für eine schwedische Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt entwickelt.
Der neue NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kommentierte auf seiner ersten Pressekonferenz in dieser Funktion die auch vertraglich jüngst nochmals vertiefte Partnerschaft mit Finnland und Schweden. Obwohl man bei dem Norweger durchaus Sympathien für einen Beitritt der beiden nordischen Nachbarländer vermuten darf, blieb Stoltenberg in seiner Äußerung vorsichtig:
Sicherheitsexperten sehen in einer nördlichen Erweiterung der NATO schon seit einiger Zeit großes Potenzial. ((Das legen etwa die Beiträge nahe in: Robert Nurick/Magnus Nordenman (eds.): Nordic-Baltic Security in the 21st Century: The Regional Agenda and the Global Role. Washington 2011. Online abzurufen unter http://www.finlandnato.org/public/download.aspx?ID=102753&GUID=%7BCEE241E3-11C4-449F-92D5-741F131C9F7B%7D (zuletzt abgerufen am 28.1.2015).)) Und tatsächlich betonte Stoltenberg in einer weiteren Äußerung im Dezember 2014, dass bei einem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens die Vorteile die Kosten überwiegen würden. ((Magnus Nordenman: „For NATO, Benefits of Adding Finland and Sweden Outweigh Costs.“ In: World Politics Review 17 December 2014, online abzurufen unter http://www.worldpoliticsreview.com/articles/14686/for-nato-benefits-of-adding-finland-and-sweden-outweigh-costs (zuletzt abgerufen am 29.1.2015).))
Nachdem die Neuwahlen in Schweden ja noch abgewendet wurden, kommt es im April zu den regulären finnischen Parlamentswahlen. Es bleibt abzuwarten, ob das Wahlergebnis und ein möglicher Regierungswechsel Auswirkungen auf die finnische NATO-Politik haben wird. Wenn es darüber hinaus ohnehin noch einige Jahre dauern könnte, bis die beiden Länder tatsächlich dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis beitreten – eines scheint sicher: Wenn eines der beiden Länder sich dafür entscheidet, wird das andere folgen.