- 29.10.2019
- Kategorie Literaturwissenschaft
Glanzvolle Sachlichkeit – Zur Erinnerung an Sara Danius
Wie ist man würdevoll und farbenfroh zugleich? Wie erforscht man Werke toter weißer Männer und wird zur feministischen Ikone? Wie schafft man es, die Entmännlichung der Küche beklagen und dabei der schwedischen Hausfrau der 50er Jahre ein Denkmal setzen? Wie schreibt man eine glanzvoll sachliche Prosa, die in ihrer konsequenten Fokussierung auf Fakten und Objekte emotional tief berührt? Wie macht man die thatchersche Schluppenbluse zu einem feministischen Hashtag (#knytblus)?
Es schmerzt, dass ich Sara Danius all diese Fragen nicht mehr stellen kann. Die prachtvolle Ausnahmeerscheinung, die in eleganter Würde all diese vermeintlichen Gegensätze so verschmolz, dass sie wie selbstverständlich aus einem Guss erschienen, erlag am 12. Oktober, 57 Jahre alt, ihrem Krebsleiden.
Sara Danius war in den letzten Jahren als erste Frau im Amt der Ständigen Sekretärin der skandalumtosten Schwedischen Akademie in den Schlagzeilen – und der erste Ständige Sekretär, der von dieser Stelle verdrängt wurde. Sie selbst hat ihr Scheitern an den männerbündischen Strukturen dieser Kulturinstitution in einem Hörbild beschrieben: man sieht die gläserne Decke nicht, sagte sie in einem ihrer brillanten Beiträge für das schwedische Radio (https://sverigesradio.se/sida/avsnitt/1077323?programid=2071), man hört nur das Splittern, wenn man an sie stößt. Nicht verbalisiert hat sie den dumpfen und schneidenden Schmerz des Aufpralls, der in diesem Bild mitschwingt. Doch man hört auch, wie eine Frau mit Würde, Klarheit und Anstand eine Krise meistert, während einige der beteiligten Männer wirken, als seien sie ihren negativen Emotionen hilflos ausgeliefert.
All dies hat die letzten Monate des Lebens von Sara Danius mitgeprägt. Nicht zu vergessen aber ist die Literaturwissenschaftlerin Danius, die ihr Nachdenken den „großen Männern“ der literarischen Moderne – Joyce, Mann, Proust, Stendhal, Flaubert und Balzac – gewidmet und sich dabei auf die vermeintlich unbedeutenden Details ihrer Prosa konzentriert hat. Eine Literaturwissenschaftlerin mit originellem Sinn für Objekte, Medien und Wahrnehmung, die die literarische Herstellung von Sichtbarkeit erforschte und dabei sowohl in der Schrift als auch in ihrer Erscheinung im besten Sinne sichtbar war. In ihrer luziden Prosa vereinigte sie Verständlichkeit mit Komplexität und zeichnete Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Diese reichen von Flauberts literarischer „blauer Seife“, die sie zum Ausgangspunkt für ihre frech-ironischen Überlegungen zum Realismus machte, bis hin zu den Bildern eines blutigen Aals aus Bonniers schwedischem Kochbuch, dem die Hausfrau mit ebenso blutigen Gummihandschuhen zu Leibe rückt. Dass Sara Danius uns prächtige Texte und das Bild einer eigenwilligen Modeliebhaberin in opulenten, farbenfrohen Roben hinterlässt, stimmt dankbar und traurig zugleich.
Die Welt hat eine Literaturwissenschaftlerin verloren, die in Deutschland und den USA ebenso zuhause war wie in Schweden, die das wissenschaftliche Geschäft ebenso verstand wie das des Journalismus und der Kulturpolitik, und die Frauen wie Männern Mut machte, als sie zeigte, wie mit Krisen anständig und würdevoll umzugehen ist.
Prof. Dr. Dr. h.c. Stefanie von Schnurbein
https://www.su.se/ike/english/about-us/news/in-memory-of-sara-danius-1.458265