Nordischer Klang – Ein Fest der nordischen Kulturen 

von NORDfor

von Luise Markwort

Wo liegt der Norden? Was ist nordische Kultur? Dies sind Fragen, die nicht nur in der Skandinavistik kontrovers diskutiert und immer wieder neu beleuchtet werden. Das Kulturfestival Nordischer Klang in Greifswald findet auf diese Fragen ganz eigene Antworten. Dem Programmheft zufolge ist nordische Kultur aktuell Dancehall, Americana, Jazz, Folkrock und Electropop, ein kritischer Blick auf Genderrollen, Kampf für indigene Rechte und vieles mehr.

Dieser Beitrag befasst sich mit der über 30-jährigen Geschichte des Nordischen Klangs in Greifswald und seiner Position zwischen Wissenschaft und Kultur in einem sich ständig wandelnden Ostseeraum. Das Festival bietet mit seiner Anbindung an die Universität Greifswald eine einmalige Möglichkeit für die Studierenden, nicht nur die erforschten Kulturen hautnah zu erleben, sondern auch in die Kulturarbeit einzusteigen.

Schwedenzeit in Greifswald

Als Hansestadt ist Greifswald stark von Skandinavien und dem Norden geprägt: Mit dem westfälischen Frieden 1648 wurde Vorpommern ein Teil Schwedens. Die »Schwedenzeit« dauerte 184 Jahre und wurde durch die territoriale Neuverteilung des Wiener Kongresses beendet. Die Universität in Greifswald (gegründet 1456) diente auch schon zuvor als Brücke nach Skandinavien. Die Spuren sind bis heute sichtbar und so ist es sicherlich kein Zufall, dass 100 Jahre später Deutschlands erstes Institut für Skandinavistik und Fennistik ausgerechnet in Greifswald gegründet wurde. Aus dieser engen Verbindung über die Ostsee hinweg ist auch der Nordische Klang erwachsen.

Die schwedische Musikerin Aurelia Dey bringt mit ihrer Großband AVENUE beim Eröffnungskonzert am 5.5.2023 Themen wie Rassismus und Identität auf die Bühne, hinterlegt mit ghanaischen Afrobeats. (© Nadim Elazzeh)

Der »Klang« ertönt zum ersten Mal

Der Nordische Klang ist heute das wichtigste Festival nordeuropäischer Kulturen außerhalb Nordeuropas. Angefangen hat er aber ganz klein. Mit den politischen Umbrüchen nach 1989 entstanden zum einen neue Möglichkeiten des Zusammenkommens im Ostseeraum, zum anderen wurde es notwendig, die Bedeutung des Instituts nicht nur für die Universität, sondern auch die Stadt zu demonstrieren. Die Sprachlektor_innen veranstalteten an einem Wochenende im Mai 1991 einen »Tag der offenen Tür« mit einem wissenschaftlichen Symposium, einem estnischen Lyriker in Saxophonbegleitung und einem schwedischen Chorkonzert im Dom. Die Stadt war begeistert und die Presse schwärmte von einem »nordischen Klang«, der durch die Stadt strömte. Das Festival war geboren.

Die Sprachlektor_innen des Instituts luden jedes Jahr im Mai Musiker_innen, Künstler_innen und Autor_innen, sowie Wissenschaftler_innen nach Greifswald ein. Angelockt durch persönliche Bekanntschaften und die Faszination Ostdeutschlands, konnten diese der Stadt und den Studierenden die Kulturen des Nordens näher bringen. 1994 übernahm Walter Baumgartner die Professur für Neuere Skandinavische Literaturen und förderte die Professionalisierung des Festivals und die Gründung eines Trägervereins. Die enge Zusammenarbeit mit dem Institut blieb bestehen und wurde durch die räumliche und personale Anbindung gestärkt: Die jetzigen Professoren für Fennistik und Neuere Skandinavische Literaturen, Marko Pantermöller und Clemens Räthel, sind die Vereinsvorsitzenden, und das »Klang-Büro« befindet sich im Institutsgebäude. Die Sprachlektor_innen engagieren sich weiterhin und veranstalten im Rahmen des Klangs u.a. das Informationsforum, um damit »ein Fenster zu den Kulturen im Norden zu öffnen«, wie Marko Pantermöller es nennt. Dieses Jahr kommen Expert_innen aus Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Estland an die Universität Greifswald, um über Poetry Slam zu sprechen und Bühnenpoesie zu performen. In den letzten Jahren gab es in diesem Rahmen Veranstaltungen zu Narrativen des Wohlfahrtsstaats, Nordic Noir, HipHop und vielem mehr.

Nordeuropäischer Big Player

Die Bedeutung des Nordischen Klangs ist seit den Anfängen stetig über Greifswald hinaus gewachsen. Zeichen dafür ist nicht zuletzt die doppelte politische Schirmherrschaft: einerseits durch die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, und andererseits durch wechselnde Vertreter_innen der nordischen Länder. In diesem Jahr hat die schwedische Kulturministerin Parisa Liljestrand diese Aufgabe inne. Zusätzlich nimmt dieses Jahr der schwedische Botschafter Per Thöresson im Rahmen seiner Deutschlandtour an der Eröffnung des Festivals teil. Die gute Zusammenarbeit mit den Botschaften gewährleistet seit vielen Jahren enge Kontakte zu politischen Akteur_innen und Künstler_innen.

Der größte Förderer des Nordischen Klangs ist die Universität Greifswald. »Wir denken Wissenschaft, Kultur und Kunst zusammen«, sagt Clemens Räthel dazu. Deshalb gibt es immer wieder thematische Verknüpfungen zwischen Wissenschaft und Kultur: Das Konzert der Nordic Voices schließt sich thematisch (und zeitlich) an die Tagung zu Lesekulturen an. Das Podiumsgespräch zur saamischen Kultur bringt Historiker_innen, Kulturwissenschaftler_innen sowie die Aktivistin und Produzentin des Films »Eatnameamet – Our Silent Struggle« zusammen. In Zusammenarbeit mit der Universität Tromsø diskutieren Forschende die Prozesse hinter kunstvoll geschaffenen Karten Nordeuropas und der Polarregion in historischer Perspektive. Mit dem Nordischen Klang steigt die nationale und internationale Anerkennung der Universität als ein Zentrum für die Erforschung des Ostseeraums. Greifswald, die vermeintlich kleine Stadt an der Ostsee, wird so immer wieder auf die Karte gesetzt, und in das Zentrum Nordosteuropas.

Der saamische Rapper Áilu Valle performt im Rahmen des diesjährigen saamischen Schwerpunkt mit dem Trio Boogiemen. (©Marko Vasara)

Greifswald, New York, Helsinki – Karrieresprungbrett Klang

Die Anbindung des Festivals an das Institut funktioniert vor allem durch die Beteiligung der Studierenden, die sich das Praktikum beim Nordischen Klang sogar als Studienleistung anerkennen lassen können. Darüber hinaus sind Praktikant_innen, studentische Mitarbeitende und ehrenamtliche Helfer_innen wichtige Stützen bei der Vorbereitung und Durchführung des Festivals. Durch die Mitarbeit beim Nordischen Klang ergibt sich die Möglichkeit, Einblicke in Festivalorganisation, Blog– und Programmheftredaktion sowie Presse– und Öffentlichkeitsarbeit zu gewinnen. Durch die Betreuung von Künstler_innen können die Studierenden ihre im Rahmen des Studiums erlernten Sprachen in der Praxis angewendet werden, außerdem gewinnen sie wertvolle Erfahrungen im Übersetzen und Dolmetschen oder können eigene Ideen verwirklichen, wie es mit dem diesjährigen Poetry Slam der Fall ist.

Einige der ehemaligen Praktikant_innen und studentischen Mitarbeitenden bleiben auch nach Abschluss des Studiums dem Klang treu oder arbeiten mit anderen Kulturinstitutionen zusammen. Somit ist der Nordische Klang ein Karrieresprungbrett, nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für viele der Acts: Der Klang konnte schon viele Künstler_innen ins kleine Greifswald bringen, die zu diesem Zeitpunkt noch eher unbekannt waren und später dann ihren großen Durchbruch hatten, darunter Valkyrien Allstars, Marja Mortensen, die Gruppe, die später als Apokalyptika bekannt wurde, und noch viele andere. Diese Acts kehren immer wieder gerne zurück, wie dieses Jahr der estnische Star Sofia Rubina.

»Weniger Kulturvermarktung, mehr Völkerverständigung«

Der Nordische Klang ist, wie Walter Baumgartner betont, ein »multidirektionales Festival«. Und damit bezieht er sich nicht nur auf die Vielfalt der Veranstaltungstypen, sondern auch auf die Diversität der Programmpunkte. Die Veranstalter_innen wollen dem Norden mit allen seinen multikulturellen Prägungen eine Bühne geben. Nach Marko Pantermöller geht es bei dem Nordischen Klang »weniger um Kulturvermarktung und mehr um Völkerverständigung.« Die Musik beim Festival ist eben nicht »die nordische Musik«, sondern Musik aus Nordeuropa. Und das ist Kantele, Hardangerfiedel und Joik, aber auch Jazz oder ghanaischer Dancehall, Sibelius und Sigrid.

Der Nordische Klang findet zwischen dem 5. und 14. Mai in Greifswald statt. Informationen zu Programm und Tickets gibt es auf der Homepage des Festivals. Dort finden sich auch Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten und Mitarbeit beim Klang.

Luise Markwort unterstützt neben ihrem Master-Studiengang in Kultur-Interkulturalität-Literatur mit Schwerpunkt Skandinavistik an der Uni Greifswald den Nordischen Klang in der Redaktion und Organisation. Sie ist zudem studentische Hilfskraft beim NORDEUROPAforum und kümmert sich dort um den Blog und die sozialen Medien.