Warum 2021 nicht einfach 2020 sein kann

von NORDfor

Ein Kommentar von Claudia Knauer

zum Editorial 2020 von Joachim Grage »Dänisch-deutsche Geschichtsvergessenheit«

und zum Gastbeitrag von Friis Arne Petersen

»Erinnerung und Politik: Ein Blick auf Geschichte und Kultur im deutsch-dänischen Austausch 2017–2020«

 

Wer als Mitglied der deutschen Minderheit in Nordschleswig lebt, sah dem Jahr 2020 mit einer Mischung aus Neugier, Vorfreude und Nachdenklichkeit entgegen. Kopfzerbrechen bereitete schon die Terminologie: Genforening – Wiedervereinigung? Nein, eher nicht. Nicht für die deutsche Minderheit. Die Grenzziehung, die uns hier im Landesteil 100 Jahre ohne offene Kämpfe bescherte, allerdings kann und darf und soll gewürdigt werden. Außerdem war es die Geburtsstunde der beiden Minderheiten südlich und nördlich der Grenze.

Zeitlich wurde und wird auch das deutsch-dänische Freundschaftsjahr begangen. Termine gab es – vor Corona – viele, viel zu viele. Und in manchem Überschwang wurde dabei glücksbeseelt glatt vergessen, dass es Anfeindungen, Verwundungen, gespaltene Familien und zerstörte Karrieren gab, ganz zu schweigen von der Nazi-Zeit, dem Faarhus-Lager und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Dänen lange Jahre nur bei Dänen kauften und Deutsche nur bei Deutschen. Vom Gegeneinander über das Nebeneinander zum Miteinander lauten die Standardsätze, die mittlerweile gerne bei festlichen Anlässen fallen und so ganz falsch nicht sind. Sie lösen aber allenfalls bei bayerischen Zeitungspraktikantinnen noch Freudestrahlen aus, ob einer so gelungenen Grenzregion. Die anderen kennen jetzt auch andere Realitäten.

Was genau woll(t)en wir also feiern im Jahr 2020 und im deutsch-dänischen Freundschaftsjahr?

Es lässt sich gut leben hier im Grenzland mit zwei Sprachen und zwei Kulturen. Offene Anfeindungen sind selten, aber, wie es Professor Troels Fink, von 1956 bis 1979 dänischer Generalkonsul in Flensburg, einst so trefflich formulierte: Der Untergrund ist noch vulkanisch. Diese Feststellung gilt weiterhin.

Wie anders ist es zu erklären, dass die Frage der zweisprachigen Ortsschilder immer noch die Emotionen hochkochen lässt. Der Nordschleswiger, deutsche Tageszeitung in Dänemark, zitiert den Apenrader Bürgermeister Thomas Andresen (Venstre) aus einem Interview auf DK4 mit Siegfried Matlok mit folgenden, historisch höchst verwunderlichen Sätzen: »Wenn der Krieg 1945 nicht so geendet hätte, wie es der Fall war, dann hätten wir 1920 als Jahr der Wiedervereinigung doch gar nicht feiern können. Hätte Adolf Hitler damals gewonnen, dann würden wir heute nicht in Dänemark leben. Und deshalb stelle ich fest: Man kann doch nicht 100 Jahre als Minderheit feiern, wenn man als deutsche Minderheit in den 40er Jahren für etwas ganz anderes gearbeitet hat.«[1]

Er bescheinigt der deutschen Minderheit mangelndes Fingerspitzengefühl, die sich doch für die zweisprachigen Ortsschilder stark macht und dabei darauf verweist, dass Dänemark sich gegenüber dem Europarat durch Annahme etlicher Ziele der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen dazu verpflichtet hat. Frühestens 100 Jahre nach Kriegsende – also 2045 – sei die Lage reif dafür. Weiter heißt es im Nordschleswiger: »Nach den Worten des seit 2014 amtierenden Venstre-Bürgermeisters sind durch diese Diskussion viele unglückliche Dinge wieder an die Oberfläche gekommen, mit denen ich und andere uns im täglichen Leben gar nicht mehr befasst haben«. Als Beispiel nennt er Briefe von dänischen Sommerhausbesitzern, die ihm mitgeteilt haben, dass sie nun eine Grundbuch-Eintragung vorgenommen haben, wonach ihr Sommerhaus nie in deutsche Hände fallen darf. »So etwas hätte ich mir gerne erspart.«

Kaufleute, die in Zeiten geschlossener Grenzen ihre Umsätze enorm steigern konnten, weil den Dänen der billige Grenzhandel ja abhandengekommen war, werben jetzt mit Sätzen wie »Skarpe priser fra din danske købmand – på den rigtige side af grænsen« – der Kaufmann auf der richtigen Seite der Grenze. Es mögen Kleinigkeiten sein, aber auch sie tragen zur Tonlage bei und zusammen mit den derzeitigen Grenzschikanen und den wiederaufkommenden antieuropäischen Affekten könnten sie einem re-nationalisierenden Interpretationsrahmen vorarbeiten, der die bisherigen Selbstverständlichkeiten im Leben in der Grenzregion in Frage stellt.

Wenn solche Sätze im deutsch-dänischen Freundschaftsjahr fallen, wenn Grenzen geschlossen werden und es bleiben, auch wenn Deutschland schon lange wieder seine Bundespolizei abgezogen hat, wenn von 13 Grenzübergängen nur fünf geöffnet werden und man elend lange im Stau steht, dann kann man nicht umhin zu erkennen, dass noch viel zu tun bleibt. Corona hat die Tünche ein wenig weggewaschen.

Für Kopenhagen ist Nordschleswig, sind Minderheiten und Grenzregion weit weg. Deutsch als Fremdsprache ist genau das geworden – eine fremde Sprache und das bleibt sie auch, so wenig wie jetzt in Dänemark Deutsch gesprochen und studiert wird.

Aber es gibt sie, die guten Kontakte, die Zusammenarbeit zum Beispiel der deutschen und der dänischen Bibliotheken, in Sonderburg sogar unter einem Dach – das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen. Die deutsche Minderheit zeigt in einem neuen Museum, das im Juli 2020 eröffnet wird, einen scharfen Blick auf die eigene Vergangenheit mit allen Tiefen, fragt nach Identität und lädt zur kritischen Auseinandersetzung ein.

Gute Beziehungen lassen sich schwerlich von oben verordnen. Menschen, die Menschen treffen, schaffen sie – ob bei den regelmäßigen grenzüberschreitenden Radtouren, ob bei gemeinsamen Übungen der freiwilligen Feuerwehren (die es auf dänischer Seite nur in Nordschleswig gibt – deutsches Erbe!) oder bei Kinder- und Jugendbegegnungen. Die Menschen vor Ort sorgen für das Miteinander, für eine friedliche Gesellschaft, von Gemeinschaft allerdings ist doch noch nicht zu sprechen. Aber »die da oben«, ob Kopenhagen, Kiel oder Berlin, stecken den Rahmen unseres Lebens an der Grenze ab und zuzeiten scheinen einige ihn neu zu bestimmen. Denn wenn die Grenze dicht ist, dann fehlen die Voraussetzungen für das offene gewinnbringende Grenzlandleben. Das ist 2020 schmerzlich bewusstgeworden. Wenn wir dann 2021 doch noch 2020 feiern, wenn König Christian X noch ein Jahr länger als Ampelmännchen über zwei Kreuzungen in Apenrade reitet, dann sollten die Festredner das nicht nur im Hinterkopf haben, sondern es offen benennen: Ja, wir haben eine friedliche Grenze. Und das ist gut so. Aber die deutsch-dänische Freundschaft muss intensiv gepflegt werden und nicht nur drei Jahre. Wie das mit Freundschaften eben so ist. Von nix, kommt nix.

[1] https://www.nordschleswiger.dk/de/nordschleswig/apenrades-buergermeister-minderheit-fehlt-es-fingerspitzengefuehl [16.07.2020].

Claudia Knauer, Büchereidirektorin Verband Deutscher Büchereien Nordschleswig, Apenrade/Aabenraa