Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities Teil 5

von NORDfor

Best Practices

Von Sven M. Kraus, Ingrid M. Heiene, Balduin Landolt, Elisabeth Magin

Die vorliegende Reihe von Blogposts ist das Ergebnis eines Workshops »Advancing Digital Humanities in Old Norse Studies« , der vom 03. bis 05. Juli 2019 am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Organisiert von Sven Kraus wurde der Workshop großzügig gefördert von der derzeitigen Inhaberin der Henrik-Steffens-Gastprofessur, Prof. Dr. Marie-Theres Federhofer.

Anlass des Workshops war das Bedürfnis, sich für das Aufgleisen eigener Projekte mit anderen Forschenden austauschen zu können. An dem Workshop nahmen fünf Nachwuchsforschende (Sven M. Kraus, Ingrid M. Heiene, Balduin Landolt, Elisabeth Magin und Jade J. Sandstedt) mit Projekten aus den Fachbereichen Runologie/Archäologie, diachrone generative Syntaxforschung, korpusbasierte historische Phonologie, stilometrische Handschriftenkunde und mittelalterliche Kulturgeschichte teil. Im Laufe der drei Workshoptage wurden methodologische Probleme innerhalb und außerhalb der eigenen Projekte identifiziert und hierfür Lösungsansätze entwickelt.

Ziel der vorliegenden Blogpostreihe »Digital Humanities« mit ihren fünf Beiträgen zu Fachdisziplinen, Methodenbewusstsein, Transparenz, Nachhaltigkeit und Best practices ist es, diese Lösungsvorschläge zu sammeln und damit best practices für die Arbeit mit digitalen Werkzeugen und Methoden in den Geisteswissenschaften vorzuschlagen. Diese sollen es anderen Wissenschaftler_innen erleichtern, künftige Forschungsprojekte von Anfang an methodisch stringent zu konzipieren.

Hier sind die best practices als Quintessenz der vorherigen Beiträge zu finden.


Unsere Vorschläge für best practices entspringen den drei Prinzipien, die in dieser Blogpostreihe behandelt wurden: Erstens, dass Methoden und theoretische Werkzeuge wie Begriffe und Definitionen wohlüberlegt und wohlbegründet sind und klar und konsequent benutzt werden; zweitens, dass man in der Darstellung immer Überprüfbarkeit und Transparenz sichert; drittens, dass man die Nachhaltigkeit und die weitere Nutzbarkeit der Daten ermöglicht.

FRAGE NACH DER FRAGE Man sollte sich stets im Klaren darüber sein, dass jede Repräsentation von augenscheinlich objektiven Daten eine Art Interpretation ist und dass einer Interpretation immer theoretische Voraussetzungen zugrunde liegen; das heißt, eine objektiv scheinende Darstellung ist immer eine Antwort auf eine (vielleicht nicht ausgesprochene) Frage. So weit wie möglich sollte sichtbar gemacht werden, welche Frage dies ist.

(1) Abwägung der Möglichkeiten und Grenzen der Technologie

Man soll sich die Vor- und Nachteile der Technologien für die gewählte Fragestellung bewusst machen. Die Anforderungen der Fragestellung müssen die Wahl der technologischen Lösungen und Werkzeuge steuern, um sicherzustellen, dass eine adäquate Methode verwendet wird.

(2) Klare Definition von Begriffen und Methoden

Dass man seine Begriffe klar definieren sowie seine Vorgangsweise/Methode klar vorlegen und begründen muss, gilt auch, wenn die Methode digitale Werkzeuge involviert. Vor allem vor dem Hintergrund der Reproduzierbarkeit und der Überprüfbarkeit der Ergebnisse ist dies unbedingt erforderlich.

(3) Interne Konsequenz, logischer und salienter Aufbau

Gerade weil die große Stärke von digitalen Ressourcen darin besteht, dass das Material durchsuchbar ist, ist es wichtig, dass die benutzten Begriffe und Kategorien konsequent angewendet werden und gut definiert sind. Hierbei ist auch das Verhältnis zwischen Begriffen und Kategorien zu reflektieren.

(4) Verfügbarkeit von Primärquellen gewährleisten

Selbst eine Zeichnung oder ein Faksimilie ist eine Interpretation der Grunddaten. Nach Möglichkeit ist die einfache Zugänglichkeit der Primärquelle in Form von Digitalisaten sicherzustellen.

(5) Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Entitäten

Im Begriffsapparat muss klar definiert werden, welche Entitäten konkret sind (geschriebene Wörter, die mit einem Leerzeichen getrennt sind; die Länge eines Gegenstandes in cm gemessen) und welche abstrakt sind (prosodische Wörter, die man aus einem geschriebenen Text herausliest; Beurteilung von metrischer Länge). Das Verhältnis der analytischen Ebenen zueinander sowie die Rohdaten der jeweiligen Ebenen müssen transparent und zugänglich sein.

(6) Ambiguitäten abbilden

Die Geisteswissenschaften beschäftigen sich häufig mit Mehrdeutigkeit. Digitale Systeme fordern dagegen prinzipiell Eindeutigkeit der Daten. Diese ist problematisch, da hierdurch eine Illusion objektiver Eindeutigkeit erzeugt wird. Die Ambiguität der Primärquellen sollte in digitalen Darstellungen nicht verloren gehen.

(7) Sichtbarmachen von bekannten Unbekannten

Der digitale Verlust — die Dinge, die nicht erfasst sind oder nicht erfasst werden können — soll, wenn es nicht vermieden werden kann, sichtbar gemacht werden. Dazu gehören auch bekannte Desiderata und Leerstellen.

(8) Zugänglichkeit

Forschungsdaten sollten nach Möglichkeit immer öffentlich gemacht werden.

(9) Institutionelle Sicherheit/Langzeitarchivierung

Im Sinne der Nachhaltigkeit der Daten sollte deren langfristige Nutzbarkeit bereits in den Anfangsphasen der Planung berücksichtigt werden. Daten und Datenbestände sollten nicht von einzelnen Stellen oder Personen abhängig sein.

(10) Referenz- und Zitierbarkeit sicherstellen

Um die Weiternutzung der Forschungsdaten zu gewährleisten, muss ihre Zitierfähigkeit und Referenzierbarkeit sichergestellt werden. Dies schließt auch die Offenlegung und Überprüfbarkeit der Forschungsdaten selbst mit ein.

(11) Werkzeug- und Plattformunabhängigkeit

Die Übertragbarkeit der Daten in andere Dateiformate ist vor diesem Hintergrund unabdinglich. Es sollte daher sichergestellt werden, dass allgemein gängige Dateiformate wenigstens als Export verfügbar sind.

Literaturverzeichnis und weiterführende Lektüre

  • Digital Humanities Workbench. Faculty of Humanities, University of Amsterdam. https://www2.fgw.vu.nl/werkbanken/dighum/ (16.08.2021).
  • Driscoll, Matthew James und Elena Pierazzo (Hrsgg.) (2016): Digital Scholarly Editing: Theories and Practices. Open Book Publishers. https://www.openbookpublishers.com/product/483 (17.08.2021)
  • Flanders, Julia und Fotis Jannidis (Hrsgg.) (2018): The Shape of Data in Digital Humanities. Modeling Texts and Text-based Resources. Routledge, London.
  • Andreas Kuczera, Thorsten Wübbena, Thomas Kollatz (Hrsgg.) (2019): Die Modellierung des Zweifels – Schlüsselideen und -konzepte zur graphbasierten Modellierung von Unsicherheiten. Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften, Sonderbände, Nr. 4. https://zfdg.de/sb004_011 (22.08.2021).
  • The Menota handbook: Guidelines for the electronic encoding of Medieval Nordic primary sources. (2019). Gen. ed. Odd Einar Haugen. Version 3.0. Bergen, Medieval Nordic Text Archive. http://www.menota.org/handbook.xml (22.08.2021).
  • Ramsay, Stephen (2004): Databases. In: Susan Schreibman, Ray Siemens, John Unsworth (Hrsgg.): A Companion to Digital Humanities. http://digitalhumanities.org:3030/companion/view?docId=blackwell/9781405103213/9781405103213.xml (20.08.2021).

Übersicht Blogbeiträge der Reihe »Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities«

Teil 1: Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities: Digital Humanities und die Fachdisziplinen

Teil 2: Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities: Methodenbewusstsein

Teil 3: Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities: Transparenz in den Digital Humanities

Teil 4: Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities: Nachhaltigkeit in den Digital Humanities

Teil 5: Wissenschaftliche Prinzipien in den Digital Humanities: Best practices

Über die Autor_innen der Blogpostreihe

Elisabeth Maria Magin, PhD war bis 2021 Doktorandin an der University of Nottingham mit Anbindung an der Universität Bergen, wo die Runeninschriften gelagert sind, welche die Grundlage für ihre runologische Datenbank bilden. In ihrer Doktorarbeit hat sie untersucht, wie SQL-basierte Datenbanken dazu genutzt werden können, größere Korpora von Runeninschriften im Hinblick auf die soziale Identität der Runenritzer zu analysieren.

Ingrid M. F. Heiene ist Doktorandin an der NTNU – Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens, und untersucht Entwicklungen in Nominalphrasensyntax, Kasusmorphologie und Bestimmtheitsmorphologie in mittelnorwegischen Diplomen aus einem generativen Standpunkt.

Balduin Landolt studierte in Basel und Reykjavik Skandinavistik und Germanistik, derzeit plant er ein Doktorat zur digitalen Erschließung komplexer handschriftlicher Textüberlieferungen. Daneben arbeitet er als Software Developer beim Data and Service Center for the Humanities (DaSCH) in Basel.

Sven Kraus studierte Skandinavistik und European Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Bergen und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Seit September 2019 promoviert er in Basel zu Übersetzung und Kulturtransfer im Nordwesteuropa des 13. Jahrhunderts und verbindet dabei philologische Betrachtungsweisen mit experimentellen Ansätzen der Digital Humanities.

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