- 19.06.2012
- Kategorie Geschichte / Archäologie
Auf der Suche nach einem neuen König für das Königreich Island
Vor 68 Jahren am 17. Juni 1944 wurde in einem feierlichen Akt am alten Versammlungsort des isländischen Althings Thingvellir die Republik Island inauguriert. Das unrunde Jubiläum lädt dazu ein, sich einmal nicht mit der Geschichte der Republikgründung und den mehrheitlich republikanischen Kräften innerhalb der isländischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, sondern den Blick auf royalistisch gesinnte Isländer zu richten.
Die Frage nach der Zukunft des zwischen Island und Dänemark 1918 geschlossenen Bundesvertrages mit seiner vereinbarten Laufzeit von zunächst 25 Jahren, laut dem der dänische König auch König rund Staatsoberhaupt des Königreichs Island war, beschäftigte auch den isländischen Dirigenten und Komponisten Jón Leifs. Seine Bedenken hinsichtlich einer zukünftigen Revision des Bundesvertrages äußerte er in einem Artikel, der in der isländischen Zeitschrift Iðunn 1937 erschien. Darin setzte er sich mit Island in der ausländischen Perspektive auseinander und mit der Bedeutung von Kultur für eine selbstständige Nation. Er befand, dass Kunst vom Wesen her aristokratisch sei und sich nicht unter der Herrschaft des Geldes, welche er scheinbar hinter eine republikanischen Verfassung vermutete, entfalten könne. Eine republikanische Verfassung für Island hieß für ihn auch, den aus seiner Sicht schmückenden Titel Königreich leichtfertig aufzugeben. Zum Königtum und seiner Bedeutung für die politische Stellung Islands in Europa und der kulturellen Entwicklung des Landes gab es für ihn keine gleichwertige Alternative. Er kritisierte jedoch die zeitgenössische Situation, nämlich, dass der isländische König in seiner Doppelrolle als König von Dänemark nicht in Island residierte und dass das Land in der ausländischen Perspektive zu Dänemark gehörte. Ein isländischer König solle jedoch mit dem isländischen Volk in guten und in schlechten Zeiten gemeinsam in Island leben und einzig Monarch des Königreiches Island sein, welches somit auch im Ausland als unabhängiger und selbstständiger Staat zweifelsfrei wahrgenommen werden konnte.
In seinen Ausführungen war bereits die Idee enthalten, als künftigen isländischen König einen Ausländer zu gewinnen. Die Frage war nur, wen? Offenbar fand Jón Leifs schon bald unter den zahlreichen Prinzen in Deutschland einen aus seiner Sicht geeigneten Thronkandidaten. Während eines Deutschlandaufenthalts suchte er in Begleitung der isländischen Schriftsteller Guðmundur Kamban ((Kamban wurde später, am 5. Mai 1945, vor den Augen seiner Familie von dänischen Widerstandskämpfern ermordet.)) und Kristján Albertsson ((Albertsson war seit 1935 Isländisch-Lektor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und nach Kriegsende isländischer Gesandter in Paris sowie Vertreter in der Generalversammlung der Vereinten Nationen.)) das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda auf, um dort den Adjutanten Goebbels‘, Prinz Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe, als Kandidaten für den isländischen Thron zu gewinnen. Der Prinz machte seine Zusage von der Haltung Hitlers abhängig, aber bereits Außenminister von Ribbentrop verweigerte seine Zustimmung zu einer weiterführenden Erörterung der isländischen Thronfrage. Vielleicht war von Ribbentrop über die politischen Kräfteverhältnisse in Island besser informiert als Jón Leifs – oder aber er war an einer deutschen Einmischung in isländisch-dänische Angelegenheiten nicht interessiert.
Island wurde 1944 Republik und wählte den während der britisch-amerikanischen Besatzung amtierenden Reichsvorsteher Sveinn Björnsson zum ersten Staatspräsidenten. Der König von Island und Dänemark Christian X. konnte diese Vorgänge nur aus der Ferne aus dem von deutschen Truppen besetzten Kopenhagen machtlos mitverfolgen.
Die Isländer entschieden sich in einem Referendum für einen „Sonderweg“ im Norden, wo, von Finnland abgesehen, die parlamentarisch-demokratische Monarchie der Regelfall war und bis heute ist. Höfisches Zeremoniell, der Aufzug einer königlichen Leibgarde und Thronjubiläen schienen den Isländern einfach zu fremd und fern, um dafür Neigungen oder Begeisterung entwickeln zu können – ganz so wie es Jón Leifs in seinem Artikel in Iðunn bereits kritisiert hatte.
Literaturnachweis:
Árni Heimir Ingólfsson, Jón Leifs: Líf í tónum, Mál og menning, Reykjavík, 2009.
Jón Leifs, „Ísland frá erlendu sjónarmiði“, in: Iðunn 20 (1937), S. 48-72.