Händedruck und Mehrzweckzaun: Der Rechtspopulismus und die dänische Politik – Ein offener Brief

von NORDEUROPAforum.blog

Ich bin Deutscher und lebe seit 1983 in Dänemark, und zwar sehr gerne. Aber das Land rückt weiter und weiter nach rechts, und es gibt immer neue Regeln, um uns Ausländer zu drangsalieren. Deshalb muss ich diesen leicht verzweifelten Brief an alle in meiner Wahlheimat schreiben.

Thomas Borchert in: Krautreporter

Liebe Dänen,

als Dauergast möchte man nicht unhöflich sein. Auch habe ich in meiner Muttersprache Deutsch eine „Gebrauchsanweisung für Dänemark“ voller Lobeshymnen geschrieben. Über meine 35 guten Jahren hier steht zum Beispiel in einem Kapitel über die Hauptstadt: „Ich bin sicher, dass du mir zu einem milderen und lebensfroheren Blick verholfen hast, Kopenhagen. Tausend Dank dafür.“ Der Satz hätte an das ganze Land adressiert sein müssen, denn so fühlt es sich an.

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb muss ich jetzt mal ganz direkt fragen: Seid ihr verrückt geworden? Oder anders ausgedrückt: Haben eure Politiker den Verstand verloren? Mich selbst frage ich gleichzeitig, ob ich ganz neue Brillen brauche.

Gerade streiten sich Bürgermeister und eine Ministerin darüber, ob Kommunen Bußgelder zahlen müssen, wenn sie nicht bei der Begrüßungsfeier von jedem frisch ernannten Staatsbürger einen Händedruck erzwingen. Die Ministerin will das genauestens kontrollieren lassen. Das ist die wildeste Idee seit Monty Pythons Ministerium für verrückte Gangarten. Ein Crescendo nach der eigentlich doch unübertrefflich verrückten Grundidee: Die gerade erworbene Staatsbürgerschaft soll jedem sofort wieder aberkannt werden, der dem Repräsentanten des Staates nicht die Hand drückt.

Ich habe zweimal die Staatsbürgerschaftsprüfung gemacht

Ich selbst bin Kandidat für die doppelte Staatsbürgerschaft und habe zweimal die „Staatsbürgerschaftsprüfung“ sowie einmal die Sprachprüfung bestanden. Durch das Staatsbürgerschaftsexamen musste ich noch mal durch, weil die Ministerin für uns Ausländer und unsere Integration die erste Prüfung nachträglich zu leicht fand und für ungültig erklären ließ. Bei dem Test im folgenden Jahr hing dann unsere Eignung für die Staatsbürgerschaft unter anderem vom richtigen Kreuz bei der Frage ab, ob der Komponist Carl Nielsen 1865, 1870 oder 1892 geboren wurde (1865 stimmt).

Obwohl auch der zweite Anlauf klappte, habe ich meinen Antrag bisher nicht abgeschickt. Irgendein neuer politischer Irrsinn sorgt immer dafür, dass man denkt: „Vielleicht fährt dieser Zug doch besser ohne mich.“ An einem Tag kommt die Ankündigung, Bürgerkriegsflüchtlinge beim Grenzübertritt auf Schmuck zu filzen. Ist dieser Vorschlag dann vergessen und vermutlich auch nie umgesetzt worden, werden astronomisch hohe Gebühren für Übersetzerhilfe beim Arztbesuch und im Krankenhaus eingeführt. Alle Fachleute rollen mit den Augen: Total unrealistisch! Dann wird mal eben die Gleichheit vor dem Gesetz eingemottet, mit doppelt so hohen Strafmaßen für Vergehen in Wohngebieten mit vielen Zuwanderern. Diese Gebiete sind offiziell als „Ghettos“ abgestempelt und werden wegen all der akuten Probleme in einer „Ghettoliste“ geführt. Und so weiter … und so weiter … und so weiter.

Jetzt kommt also die Aussicht auf einen ganz bestimmten Händedruck dazu. Bisher wird jedes Jahr ein nationales Willkommensfest für frisch Eingebürgerte im Parlament auf Schloss Christiansborg durchgeführt. Die Einladung kommt von der Parlamentspräsidentin Pia Kjærsgaard. Am Beginn ihrer Karriere stand 1994 ein berühmter und berüchtigter Willkommensgruß, den man als „Fremder“ mit drei Kindern nicht vergisst: „Die Fremden vermehren sich wie Kaninchen.“ Mit diesem Satz im Gepäck, für den sie sich meines Wissens nie entschuldigt hat, streckt sie nun also die Hand aus als Repräsentantin ihres Staates und aller Bürger. Nehmen wir sie nicht, die Hand, verlieren wir die hart erkämpfte Staatsbürgerschaft. Das ist so wahnsinnig, dass man es eigentlich mal ausprobieren sollte. Ich hab im Prinzip nichts dagegen, auch Frau Kjærsgaard die Hand zu reichen. Aber es fühlt sich surreal an, gesetzlich dazu als Unterwerfungsritual gezwungen zu werden.

Dass ich mit meinem Antrag zögere, hat auch mit einem Vermittlungsproblem zu tun. „Mach halblang“, brummen die Freunde im früheren Heimatland, wenn ich von dem Zwangshändedruck erzähle: „Du übertreibst, so verrückt können die freundlichen Menschen mit all ihrer Hygge wohl nicht sein. Außerdem sind sie doch das glücklichste Volk der Welt.“

Eine Torte für die 50. Gesetzesverschärfung

Noch gravierender: Als Korrespondent lebe ich von der eigenen Glaubwürdigkeit und habe in der Muttersprache über zwei Jahrzehnte brav sowie wahrheitsgemäß berichtet, wie die (rechtspopulistische) Dansk Folkeparti Schritt für Schritt, Wahl für Wahl die Politik erobert hat. Bis alle anderen auch so sein wollten und sich nun immer neue Verrücktheiten ausdenken müssen, um ihr Vorbild zu erreichen und möglichst noch zu übertreffen. So hab ich immer wieder dieselbe Geschichte servieren müssen, ausgewechselt wird immer nur die jeweils aktuelle Steigerung bei den verrückten Ideen.

Als die Ausländerministerin sich auf Facebook für ihre 50. Verschärfung der Ausländergesetze lachend mit einer Torte feierte, beschrieb ich das wie fassungslos staunende Medienleute in aller Welt und dachte bei mir: Okay, jetzt muss aber Schluss damit sein, deine Quote an solchen Geschichten ist erfüllt. Sonst kommen Lesern samt der Heimatredaktion Zweifel an deiner Glaubwürdigkeit.

Mehrzweckzaun zwischen Dänemark und Deutschland

Deshalb ist von mir Chronist bisher keine Zeile zum kommenden Zaun längs der kompletten deutsch-dänischen Grenze gegen eine Wildschwein-Invasion aus dem Süden zu lesen. Zu verrückt, denn man müsste ja auch erzählen, dass die Dansk Folkeparti hochseriös verkündet: Lasst ihn uns gleich höher bauen als nur 1,50 Meter, dann halten wir uns neben den Wildschweinen auch die Flüchtlinge vom Halse. Wie gesagt: zu wild, man muss auch an den eigenen Ruf denken.

Andererseits: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Den Reim scheinen auch eure Politiker zu kennen, jedenfalls beherzigen sie ihn, und wir können gespannt die nächste, ganz bestimmt noch verrücktere Idee erwarten. Sind sie erst mal auf diesen Zug aufgesprungen, scheint es einen automatischen Zwang zu noch größerem Irrsinn zu geben, weil anders die gewünschte Aufmerksamkeit nicht zu erreichen ist.

Zeremonie mit Händedruck drei Mal so teuer

Während ich diese Zeilen schreibe, kommt in die Mailbox die Mitteilung, dass sich die Kosten für die neue Handdruck-Zeremonie und andere neue Hindernisse in Sachen Staatsbürgerschaft pro Neu-Bürger auf 2.600 Kronen (350 Euro) belaufen. Deshalb kostet der Antrag ab 1. Januar 3.800 statt 1.200 Kronen – also mehr als 500 statt 160 Euro. Hat man so was Verrücktes je gehört? Ja, hat man, jedenfalls in meinem Geburtsland Deutschland, aber das gehört jetzt nicht hierher.

Zum Schluss das Allerverrückteste: Im Alltag, beim Arbeiten, beim Umgang aller möglichen Leute miteinander erlebe ich diese seltsame Spirale Richtung Wahnsinn nicht. Deshalb lass ich den Satz auch in der nächsten Auflage der „Gebrauchsanweisung für Dänemark“ stehen: „Ich bin sicher, dass du mir zu einem milderen und lebensfroheren Blick verholfen hast, Kopenhagen, Tausend Dank dafür.“ Vielleicht kann man anfügen: „Aber liebe Freunde im ganzen Land, warum lasst ihr dir diesen großartigen Schatz von durchgeknallten Politikern auf Stimmenjagd kaputtmachen?“

Viele Grüße

Thomas


Dieser Artikel erschien auf Dänisch am 29.09.2018 in einer der größten Dänischen Tageszeitungen, „Jyllands-Posten“.

Dieser Artikel erschien ebenfalls am 01.10.2018 unter dem Titel „So verrückt ist es, in einem Land zu leben, in dem seit Jahrzehnten Rechtspopulisten den Ton angeben“ im Krautreporter. 

Der Journalist Thomas Borchert (*1952) arbeitet als Korrespondent für Skandinavien in Kopenhagen und Berlin. Er ist Autor der 2016 publizierten „Gebrauchsanweisung für Dänemark“.