- 04.12.2014
- Kategorie Politik / Gesellschaft
Regierungskrise in Schweden – Erosion des Minderheitsparlamentarismus
Am 14. September 2014 wurde in Schweden ein neuer Reichstag gewählt, am 3. Oktober die rot-grüne Minderheitsregierung unter der Führung des Sozialdemokraten Stefan Löfven vereidigt – nach nur zwei Monaten scheiterte die Regierung bereits vorzeitig: Am 3. Dezember 2014 gelang es der rot-grünen Minderheitskoalition als erster Regierung der schwedischen Demokratiegeschichte nicht, ihren Haushalt vom Parlament bestätigen zu lassen. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) stimmten geschlossen für den Haushaltsantrag der bürgerlichen Allianz, bestehend aus Konservativer Partei (M), liberaler Volkspartei (FP), Zentrumspartei (C) sowie Christdemokraten (CD). Unmittelbar nach der Abstimmungsniederlage im Reichstag kündigte Stefan Löfven Neuwahlen für den 22. März 2015 an.
Die schwedische Demokratie befindet sich in einer Krise, die sich spätestens mit der Wahl 2010 angedeutet hatte. Mit dem Einzug der Schwedendemokraten in das Parlament büßte die bürgerliche Allianz für Schweden die parlamentarische Mehrheit ein. Die bürgerliche Regierung verfolgte eine eigentümliche Doppelstrategie. Auf der einen Seite kam es zu einer vehementen Kritik des konservativen Regierungschefs Fredrik Reinfeldt und anderer Allianz-Politiker an den Rechtspopulisten. Auf der anderen Seite stützte sich die Allianz bei ca. 60 Prozent aller parlamentarischen Abstimmungen auf die SD. Eine strategische Kooperation mit den Parteien des linken Lagers (Sozialdemokraten, Grüne, Linkspartei) fand kaum statt. Die Konsequenz war ein weiteres Erstarken der Blocklogik im schwedischen Parteienwettbewerb, mit einer nicht zu unterschätzenden Rolle der Rechtspopulisten als Zünglein an der parlamentarischen Waage.
Bei der Reichstagswahl 2014 verloren die Allianzparteien zum Teil deutlich, das linke Lager konnte einen gewissen – wenn auch nicht sehr großen – Stimmenzuwachs erreichen, und die Schwedendemokraten waren die eindeutigen Wahlsieger. Unmittelbar nach der Wahl strebte die Sozialdemokratie unter Stefan Löfven eine enge Koalition mit der Grünen Partei an und lud die bürgerlichen Mitteparteien zu einer über die Lagergrenzen hinwegreichenden parlamentarischen Zusammenarbeit ein.
Der Start der rot-grünen Minderheitsregierung kann kaum als erfolgreich bezeichnet werden. Die Regierung konnte keine strategischen Risse in den festen bürgerlichen Parteienblock der Allianz treiben. So scheiterten erste Reformambitionen rasch an der Opposition von Allianz und Schwedendemokraten. Zum Beispiel war die Regierung bestrebt, das große Umfahrungsprojekt in Stockholm zu stoppen, Mitte November setzte sich die Opposition allerdings geschlossen mit dem Weiterbau des Projektes durch. Als die Grüne Partei Ende November neu in eine Kommission zur Fortentwicklung des schwedischen Rentensystems aufgenommen werden sollte – die traditionell von den verantwortlichen Parteien der großen Rentenreform der 1990er Jahre gebildet wurde –, verließen die Vertreter der bürgerlichen Parteien unter Protest die Kommission. Von einer blockübergreifenden Zusammenarbeit konnte kaum die Rede sein.
Eine unumgängliche Hürde für schwedische Minderheitsregierungen ist die Verabschiedung des Haushalts. Der Haushalt ist nach den Regeln des negativen Parlamentarismus angenommen, wenn keine Mehrheit an Gegenstimmen vorliegt. Einen Tag vor der Abstimmung, am 2. Dezember 2014, kündigten die Schwedendemokraten an, geschlossen für den Haushaltsvorschlag der oppositionellen bürgerlichen Allianz zu stimmen – eine Stimmentscheidung, die so bislang noch nie im schwedischen Minderheitenparlamentarismus vorkam. Faktisch müsste die rot-grüne Regierung jetzt mit einem Haushalt der Opposition regieren. Nach der Niederlage in der Haushaltsdebatte hätte die rot-grüne Regierung den Auftrag zur Regierungsbildung zurück an den Vorsitzenden des Reichstages geben können. Die Regierung entschied sich jedoch dafür, Neuwahlen anzuberaumen und der Wahlbevölkerung die Möglichkeit zu einer Entscheidung zu geben.
Die schwedische Demokratie manövriert gegenwärtig in den Untiefen von Minderheitsregierungen bei gefestigten politischen Lagern und einer bedeutsamen Machtposition der rechtspopulistischen Schwedendemokraten als Zünglein an der parlamentarischen Waage. Diese Situation ist in Schweden relativ neu. Allerdings hatten die dänischen Parteien des bürgerlichen Lagers bereits von 2001 bis 2011 mit der parlamentarischen Unterstützung der dortigen Rechtspopulisten regiert. Und in Norwegen regiert seit 2013 die konservative Partei offiziell mit den dortigen Rechtspopulisten in einer Minderheitskoalition. Eine solche stille oder formale Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten wird gegenwärtig noch von den Allianzparteien abgelehnt.
Insofern stehen für den schwedischen Parteienwettbewerb und die schwedische Demokratie zentrale Entscheidungen an:
Sind die bürgerlichen Parteien bereit, offen mit den Schwedendemokraten zu paktieren? Hier haben vor allem die liberale Volkspartei sowie die Christdemokraten (noch) Berührungsängste.
Sind die bürgerlichen Mitteparteien bereit, den festen Block der bürgerlichen Allianz zu verlassen und eine sozialdemokratische Minderheitsregierung (evtl. ohne die von den bürgerlichen Mitteparteien nicht goutierte Grüne Partei) zu unterstützen?
Und kann die Strategie der Sozialdemokraten erfolgreich sein, die Rechtspopulisten durch einen erneuten Wahlkampf zu schwächen? Oder führt dies eher zu einer weiteren Stärkung der Schwedendemokraten?
Wie auch immer diese Entscheidungen getroffen werden, die jüngsten Entwicklungen zeigen, wie anspruchsvoll das Regieren mit Minderheitsregierungen dann ist, wenn die Lagerdisziplin hoch, die Hegemonie der Sozialdemokratie geschwunden und das rechtspopulistische Wählerpotenzial stark und wachsend ist. Die Logik des Regierens in Minderheitsposition hat sich in Schweden – ebenso wie in anderen nordeuropäischen Ländern auch – gravierend gewandelt. Der erstarkte Rechtspopulismus wirbelt das schwedische Modell, das Modell sozialdemokratischer Politik in Europa gegenwärtig stark durcheinander.