- 09.02.2024
- Kategorie Kulturgeschichte Politik / Gesellschaft
Thronwechsel in Dänemark
Gastbeitrag von Marlene Hastenplug
Die überraschende Ankündigung von Königin Margrethe II., nach 52 Jahren auf dem Thron abzudanken, löste in Dänemark umfangreiche Medienberichte und öffentliche Spekulationen aus. Trotz gelegentlicher Kontroversen erfreut sich die dänische Monarchie einer überwältigenden Beliebtheit, was vor allem auf die Persönlichkeit und Fähigkeiten von Königin Margrethe zurückzuführen ist. Dieser Beitrag geht auf die Monarchie als Kontinuum in einer sich rasch verändernden Gesellschaft und das Phänomen der Begeisterung ein. Außerdem reflektiert er ihr fragiles Konstrukt und die Herausforderungen, Tradition und Moderne in Einklang zu bringen.
Der ›Silvesterschock‹
Am 31. Dezember kurz vor 18 Uhr saß ich wie die meisten Däninnen und Dänen vor dem Fernseher in Erwartung der traditionellen Neujahrsansprache der Königin. So fängt eine typische dänische Silvesterfeier an, und so war es, seitdem ich mich erinnern kann.
Königin Margrethe II. hatte in der Vergangenheit stets versichert, dass sie auf dem Thron sitzen bleiben würde – wie ein Vogel, bis er vom Ast fällt. Deswegen war nicht nur ich gänzlich unvorbereitet darauf, was an diesem letzten Abend im Jahr 2023 passieren sollte, und stand den Rest des Abends ein wenig unter Schock. Denn die Königin verkündete völlig überraschend, dass sie – schon am 14. Januar 2024, genau 52 Jahre, nachdem sie den Thron bestiegen hatte – zurücktreten werde. So bildete diese Neujahrsansprache den Auftakt zu zwei goldenen Wochen für die dänischen Medien, die sich umgehend auf dieses ›historische Ereignis‹ stürzten, ohne auch nur das kleinste Detail auszulassen. War es eine spontane Idee der Königin? War sie ernsthaft krank? Und hatten es der Kronprinz und die Premierministerin tatsächlich erst ein paar Tage vorher erfahren?
Rund um das historische Ereignis
Plötzlich brauchten wir Wörter, die wir erst flektieren lernen mussten. Heißt Abdankung auf Dänisch »abdicering« oder »abdikation«? Und welches Hilfsverb benutzt man zusammen mit dem Verb »abdicere« – »er« oder »har«? Die Interessierten kann ich beruhigen: Laut der dänischen Sprachkommission Dansk Sprognævn sind alle vier Möglichkeiten korrekt. Auch die dänische Bibelgesellschaft (Bibelselskabet) meldete sich zu Wort und ergriff die Gelegenheit, um über biblische Königsgestalten zu reflektieren.
Am Tag der feierlichen Amtsübergabe begannen die Thronwechsel-Sendungen bereits um 7 Uhr morgens, ganze sieben Stunden bevor die Königin hinter verschlossenen Türen im Staatsrat mit ihrer Unterschrift ihrem Sohn die Krone übergeben sollte. Im Fernsehstudio von DR, dem öffentlich-rechtlichen Sender Dänemarks, wurden Königs- und Königintorten gebacken und Interviews mit Kleider- und Hofexpert_innen, Historiker_innen sowie Bürger_innen geführt. Die ersten Untertanen fanden sich ebenfalls kurz nach 7 Uhr auf dem Schlossplatz vor Christiansborg ein und wussten nicht, wie sie sich dort bei Temperaturen von etwa null Grad und starkem Wind warmhalten sollten, bis Premierministerin Mette Frederiksen um 15 Uhr den Thronwechsel vom Balkon des Schlosses Christiansborg verkünden würde. Die ersten Zuschauer_innen waren zwar reichlich früh dran, aber am Ende kamen so viele Menschen in die Kopenhagener Innenstadt, dass manche Bereiche für weiteren Zugang gesperrt werden mussten: Etwa 300.000 Menschen drängten sich wie Sardinen in der Dose voller Vorfreude auf den Straßen.
Kaum noch Republikaner in Dänemark
1972, als Margrethe nach dem Tod ihres Vaters, Frederik IX., den Thron übernahm, war der Andrang weniger groß. Damals, kurz nach den Jugend- und Studentenrevolten, als der Marxismus die kulturelle Elite prägte, war das dänische Königshaus bei weitem nicht so beliebt wie jetzt. Es ist Königin Margrethes Verdienst, dass sie ein starkes und gefestigtes Königshaus an ihren Sohn übergibt. In Dänemark gibt es ihretwegen kaum noch Republikaner. Nicht mal die äußerste linke Partei, die Enhedsliste, will ihre Majestät beleidigen: Wenn die Königsfamilie zur Eröffnung des Parlaments im Oktober den Saal betritt und alle Abgeordneten aufzustehen haben, huschen sie einfach erst ein paar Minuten nach der Ankunft der Königlichen Familie auf ihre Plätze, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Am 30. Dezember 2023 wurde die neueste Meinungsumfrage zur Popularität des Königshauses unter folgender Überschrift veröffentlicht: »Neue Studie zeigt hohe Unterstützung des Kronprinzenpaares«
Regierungsform steht nicht zur Diskussion
In der erwähnten Studie wurde auch die allgemeine Beliebtheit des Königshauses gemessen: 70 Prozent der dänischen Bevölkerung sind für die Beibehaltung der Monarchie, während 17 Prozent sie abschaffen wollen. Die letzten 13 Prozent sind unentschieden. Trotz dieser deutlichen Unterstützung des Königshauses in der Bevölkerung, hätte man vielleicht erwarten können, dass die angekündigte Abdankung der Königin zu der Diskussion führen würde, inwieweit diese Regierungsform erhalten bleiben solle. Dazu kam es jedoch nicht. Der Journalist, Autor und Historiker Adam Holm war einer der wenigen, der sich kritisch äußerte und die aus seiner Sicht undemokratische Übertragung von Macht und Privilegien von einer Generation zur nächsten innerhalb einer Familie hinterfragte. Ansonsten stand nicht zur Debatte, ob Dänemark weiterhin eine konstitutionelle Monarchie sein sollte, denn Königin Margrethes Beliebtheit sorgt dafür, dass diese Frage nicht gestellt wird. Ein Politiker nach dem anderen erzählte, dass die Königin sie zu Fans des Königshauses gemacht habe – von Lars Løkke Rasmussen bis zu Mette Frederiksen. Die Regierung hat sogar vor, die staatlichen Zuschüsse für das Königshaus zu erhöhen. Prinz Joachim darf dank einer Sonderregelung seit 2019 seine Apanage mit ins Ausland nehmen, obwohl das eigentlich laut Grundgesetz nicht gestattet ist. Das Entgegenkommen und Wohlwollen der Politik wurden anscheinend nicht beeinflusst von den Krisen der letzten Jahre, die das Image der königlichen Familie ankratzten. Wie der Royal-Experte Thomas Larsen sagt, haben die Däninnen und Dänen ein sehr kurzes Gedächtnis, wenn es um ihr Königshaus geht.
Kratzer im Lack
Diese Gedächtnisschwäche hat man immer wieder beobachten können – etwa, als die zwei jungen Prinzen Frederik und Joachim vor vielen Jahren wegen zu hoher Geschwindigkeit einen Autounfall in Frankreich verursachten oder als die damalige Freundin des Kronprinzen in einer Silvesternacht betrunken am Steuer seines Autos saß. Gewiss führten diese und andere Fehltritte zu Kritik und Zweifel daran, ob Frederik sich dafür eignete, König zu werden, aber daran erinnert sich heute kaum jemand. Auch die letzten Skandale haben nicht dazu geführt, dass die königliche Familie an Popularität eingebüßt hat: Zum Beispiel die Mobbing-Vorfälle im noblen Internat, das der Sohn des Kronprinzenpaars besuchte oder der kurzfristig angekündigte Titelentzug 2023 der Kinder von Prinz Joachim, der einen Einblick in die eindeutig mangelhafte Kommunikation der Königsfamilie gewährte. Es ging also immer wieder Auf und Ab, doch die Bevölkerung vergisst oder verdrängt sehr schnell die Tiefpunkte – so auch die problematische Mitgliedschaft des Kronprinzen im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und vor allem seine Abstimmung dafür, russische Sportlerinnen und Sportler bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 zuzulassen, womit er sich dezidiert gegen die Haltung der dänischen Regierung stellte. Und als kürzlich die Fotos vom Kronprinzen mit einer fremden Frau in Madrid um die Welt gingen, füllten diese Nachrichten sehr viel mehr Spalten in der ausländischen als in der dänischen Presse.
Märchen und Maskerade im modernen Dänemark
Wieso sind die Dänen auf einem Auge blind, wenn es um das Königshaus geht? Warum lieben sie dieses anachronistische Universum mit Kutschen, Orden und Diademen so sehr? Ja, wie kommt es dazu, dass erwachsene Menschen sich mit Papp- und Plastikkronen und Hermelinmänteln verkleiden, wenn sie auf die Straße gehen, um die königliche Familie zu feiern? Man gewinnt den Eindruck, dass die Begeisterung für königliche Magie und Märchenstimmung die dänische Bevölkerung in eine kollektive Kindheit zurückversetzt. Im Gegensatz zur karnevalsfreudigen Gegend hier am Rhein, von wo aus ich die Entfaltungen meiner Landsleute betrachte, sind es in Dänemark normalerweise nur die Kinder, die sich verkleiden und zur »Maskerade« gehen. In jeder Hinsicht hat das Spektakel zugenommen: Die Medien, von der Klatschzeitung Billedbladet bis zum staatlichen DR-Fernsehen, lassen sich vom Interesse der Bevölkerung fürs Königshaus steuern und Intellektuelle wie Chefredakteur Martin Krasnik von Weekendavisen (vergleichbar mit der deutschen ZEIT) warnen, dass wir aufpassen müssen, das Königshaus nicht zu entmystifizieren.
Warum wird das Bedürfnis der Däninnen und Dänen immer größer, in der Verzauberung und Magie eines Königshauses zu schwelgen? Liegt es daran, dass wir in unserer spätmodernen Welt alle großen kontinuierlichen Erzählungen verloren haben – außer dieser einen? Ist das Königshaus eine der wenigen stabilen Säulen, die uns in einer Welt geblieben sind, die sich schneller verändert, als wir fassen können? Auf jeden Fall hat Königin Margrethe II. es geschafft, die Nation zusammenzuführen. Es ist ihr gelungen, weil sie Nähe und Distanz in perfekten Einklang gebracht hat. Sie ist durch ihr großes Pflichtbewusstsein ihrer königlichen Erziehung treu geblieben, gleichzeitig aber ist sie immer auch ihren eigenen Interessen nachgegangen und hat ihre Haltung und Meinungen in dem für sie möglichen Umfang zum Ausdruck gebracht. Dadurch ist sie, obwohl sie nach eigener Aussage keine besonders gute Mutter für ihre eigenen Kinder war, paradoxerweise eine Mutter für Dänemark geworden, die mit ihren ›Kindern‹, der Bevölkerung, auch schimpfen durfte. Die vielen Grüße, die anlässlich der Abdankung publiziert wurden, zeigten, dass Königin Margrethe für viele Menschen eine mütterliche Autoritätsperson und ein moralischer Kompass war.
Der König von morgen
Die Kontinuität, die Königin Margrethe und die königliche Familie verkörpern, vermittelt ein Gefühl von Geborgenheit in einer Welt, in der sich so Vieles so rasant verändert. Mit dem Königshaus bekommen die Dänen zudem ein Gegenbild zu der durchrationalisierten und vernünftigen Gesellschaft mit flachen Hierarchien, in der sie ihren Alltag verbringen: Ein kleines bisschen Märchen, das uns träumen lässt.
Königin Margrethe beherrschte die Kunst, genau den richtigen Abstand zur Bevölkerung zu halten: Sie war weder zu volksnah noch zu distanziert. Nie war sie in Skandale verwickelt, es gab keine Eskapaden oder gravierenden Fehltritte. Das ist sicherlich ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz der Monarchie in Dänemark.
Es wird sich zeigen, wie stabil die Konstruktion ist, wenn sie nicht mehr regiert. Der neue König muss seine eigene Balance finden, seine eigene Art zu regieren und die Bevölkerung zu vereinen. Und ich werde natürlich, wie nahezu alle Däninnen und Dänen, vor dem Fernseher sitzen, wenn er seine erste Neujahrsansprache hält.
Anne Marlene Hastenplug ist Lektorin für Dänisch am Institut für Skandinavistik der Goethe Universität Frankfurt am Main.